1888, Briefe 969–1231a
993. An Ernst Wilhelm Fritzsch in Leipzig
Nizza, den 14 Febr. 1888 pension de Genève
Sehr geehrter Herr,
Sie haben mir noch nicht mitgetheilt, wie viel und welche Zeitschriften Ihnen Gesammtberichte über meine Litteratur versprochen haben. Was meine Bemühungen in dieser Hinsicht angeht, so ist der Gesammtbericht des „Bund“, auf welchen ich Sie hatte rechnen lassen, inzwischen erschienen, in der ersten Januar-Nummer: leider nicht, wie zu erwarten stand, aus der Feder seines vortrefflichen Redakteurs Dr. Widmann, sondern aus der eines geistreichen, aber oberflächlichen Herrn Spitteler, der sich mit der überaus schwierigen Aufgabe auf seine Weise abgefunden hat. Doch wirkt die Anzeige als Anzeige stark — und darauf kommt es allein an. Ich will mich daran gewöhnen, derartige Besprechungen nur noch nach ihrem Einfluß auf den buchhändlerischen Betrieb anzusehn
Was den berühmten Dänen Dr. Georg Brandes anbetrifft (Kopenhagen St. Anne-Platz 24 ist wieder seine Adresse) so nehme ich an, daß meine Schriften inzwischen in seine Hände gelangt sind. Ich habe durchaus kein Versprechen dafür, daß er über dieselben einen litterarischen Bericht abstattet, und ich würde mich schämen, je etwas Derartiges von ihm zu wollen. Was mich aber freut, das ist, ihn gründlich bemüht zu sehn, sich mir zu nähern und einen Zugang zu meiner so schwierigen Welt zu suchen. Dr. Brandes ist, nach seiner außerordentlichen Übung, die verwickelten Fälle des modernen Geistes zu analysiren, vielleicht noch am Ersten befähigt, sich über mich nicht zu vergreifen.
Ich habe insgleichen bei Herrn Dr. Carl Fuchs in Danzig eine bescheidene Anfrage gemacht, ob er seine intelligente und beredte Feder zu einer solchen Arbeit hergeben würde. Er ist mir sehr zugethan; aber vielleicht ist er anderweitig zu stark in Anspruch genommen. Trotzdem möchte eine diskrete Sondirung Ihrerseits hier nicht unangemessen sein.
Endlich gehört hierher ein Brief, der eben angelangt ist, und den ich beilege: er stammt von einem meiner Freunde von der Berliner Universität, dem Professor Dr. Paul Deussen. Diesen Brief bitte ich mir wieder zurück zu senden, zugleich mit einer Mittheilung über das, was Sie hinsichtlich der darin gemachten Vorschläge gethan haben.
Ist nirgendswo eine Besprechung meines „Hymnus“ erschienen? Mir sind von mehreren Orten Aufführungen in Aussicht gestellt z. B. von Mottl in Carlsruhe.
Ergebenst
Prof Dr Nietzsche