1888, Briefe 969–1231a
1170. An Georg Brandes in Kopenhagen (Entwurf)
<Turin, Anfang Dezember 1888>
Werther Freund, ich halte für nöthig, Ihnen ein paar Dinge aller ersten Rangs mitzutheilen: geben Sie Ihr Ehrenwort drauf, daß die Geschichte unter uns bleibt. Wir sind eingetreten in die große Politik, sogar in die allergrößte… Ich bereite ein Ereigniß vor, welches höchst wahrscheinlich die Geschichte in zwei Hälften spaltet, bis zu dem Punkte, daß wir eine neue Zeitrechnung haben werden: von 1888 als Jahr Eins an. Alles, was heute oben auf ist, Triple-Allianz, sociale Frage geht vollständig über in eine Individuen-Gegensatz-Bildung: wir werden Kriege haben, wie es keine giebt, aber nicht zwischen Nationen, nicht zwischen Ständen: Alles ist auseinander gesprengt, — ich bin das furchtbarste Dynamit, das es giebt. — Ich will in 3 Monaten Aufträge zur Herstellung einer Manuscript-Ausgabe geben von |„Der Antichrist. Umwerthung aller Werthe“|, sie bleibt vollkommen geheim: sie dient mir als Agitations-Ausgabe. Ich habe Übersetzungen in alle europäischen Hauptsprachen nöthig: wenn das Werk erst heraus soll, so rechne ich eine Million Exemplare in jeder Sprache als erste Auflage. Ich habe an Sie für die dänische, an Herrn Strindberg für die schwedische Ausgabe gedacht. — Da es sich um einen Vernichtungsschlag gegen das Christenthum handelt, so liegt auf der Hand, daß die einzige internationale Macht, die ein Instinkt-Interesse an der Vernichtung des Christenthums hat, die Juden sind — hier giebt es eine Instinkt-Feindschaft, nicht etwas „Eingebildetes“ wie bei irgend welchen „Freigeistern“ oder Socialisten — ich mache mir den Teufel was aus Freigeistern. Folglich müssen wir aller entscheidenden Potenzen dieser Rasse in Europa und Amerika sicher sein — zu alledem hat eine solche Bewegung das Großcapital nöthig. Hier ist der einzige natürlich vorbereitete Boden für den größten Entscheidungs-Krieg der Geschichte: das Übrige von Anhängerschaft kann erst nach dem Schlage in Betracht gezogen werden. Diese neue Macht, die sich hier bilden wird, dürfte im Handumdrehn die erste Weltmacht sein: zugegeben daß zunächst die herrschenden Stände die Partei des Christenthums ergreifen, so ist die Axt ihnen insofern an die Wurzel <gelegt>, als gerade alle starken und lebendigen Individuen aus ihnen unbedingt ausscheiden werden. Daß alle geistig ungesunden Rassen im Christenthum den Glauben der Herrschenden bei dieser Gelegenheit empfinden, folglich für die Lüge Partei nehmen werden, das zu errathen braucht man nicht Psycholog zu sein. Das Resultat ist, daß hier das Dynamit alle Heeresorganisation alle Verfassung sprengt: daß die Gegnerschaft nicht Anderes constituirt und auf Krieg ungeübt dasteht. Alles in Allem, werden wir die Offiziere in ihren Instinkten für uns haben: daß es im aller höchsten Grad unehrenhaft, feige, unreinlich ist, Christ zu sein, dies Urtheil trägt man unfehlbar aus meinem „Antichrist“ mit sich fort. — (Zunächst erscheint das „Ecce homo“ von dem ich sprach, worin das letzte Capitel einen Vorgeschmack giebt, was bevorsteht, und wo ich selbst als Mensch des Verhängnisses auftrete…) Was den deutschen Kaiser betrifft, so kenne ich die Art, solche braunen Idioten zu behandeln: das giebt einem wohlgerathenen Offizier das Maß ab. Friedrich der Große war besser, der wäre sofort in seinem Elemente. — Mein Buch ist wie ein Vulkan, man hat keinen Begriff aus der bisherigen Litteratur, was da gesagt wird, und wie die tiefsten Geheimnisse der menschlichen Natur plötzlich mit entsetzlicher Klarheit herausspringen. Es giebt eine Art darin, das Todesurtheil zu sprechen, die vollkommen übermenschlich ist. Und dabei weht eine grandiose Ruhe und Höhe über das Ganze — es ist wirklich ein Weltgericht, obwohl Nichts zu klein und versteckt ist, was hier nicht gesehen und ans Licht gezogen werde. Wenn Sie endlich das Gesetz gegen das Christenthum unterzeichnet, der „Antichrist“ lesen, das den Schluß macht, wer weiß, so schlottern vielleicht selbst Ihnen, fürchte ich, die Gebeine…
Das Gesetz gegen das Christenthum hat als Überschrift: Todkrieg dem Laster: das Laster ist das Christenthum
Der erste Satz: Lasterhaft ist jede Art Widernatur; die lasterhafteste Art Mensch ist der Priester: der lehrt die Widernatur. Gegen den P<riester> hat man nicht Gründe, man hat das Zuchthaus nöthig.
Der vierte (Satz) Die Predigt der Keuschheit ist eine öffentliche Aufreizung zur Widernatur. Jede Verachtung des geschlechtlichen Lebens, jede Verunreinigung desselben durch den Begriff „unrein“ ist die eigentliche Sünde gegen den heiligen Geist des Lebens.
Der 6. Satz heißt Man soll die heilige Geschichte nennen mit dem Namen den sie verdient, als verfluchte Geschichte; man soll die Worte „Gott“ „Heiland“ „Erlöser“ „Heiliger“ zu Schimpfworten, zu Verbrecher-Abzeichen benutzen.
Umwerthung aller Werthe? Da wird erst — — —
Siegen wir, so haben wir die Erdregierung in den Händen — den Weltfrieden eingerechnet… Wir haben die absurden Grenzen der Rasse Nation und Stände überwunden: es giebt nur noch Rangordnung zwischen Mensch und Mensch und zwar eine ungeheure lange Leiter von Rangordnung.
Da haben Sie das erste welthistorische Papier: Große Politik par excellence.
NB. Suchen Sie mir einen Meister als ersten Übersetzer — ich kann nur Meister der Sprache brauchen.