1888, Briefe 969–1231a
1126. An Malwida von Meysenbug in Rom
Turin, den 4. Okt. 1888
Verehrteste Freundin,
eben gab ich meinem Verleger Auftrag, umgehend drei Exenrplare meiner eben erscheinenden Schrift Der Fall Wagner.
Ein Musikanten-Problem an Ihre Versailler Adresse abgehn zu lassen. Diese Schrift, eine Kriegserklärung in aestheticis, wie sie radikaler gar nicht gedacht werden kann, scheint eine bedeutende Bewegung zu machen. Mein Verleger schrieb, daß auf die allererste Meldung von einer bevorstehenden Schrift von mir über dies Problem und in diesem Sinne soviel Bestellungen eingelaufen sind, daß die Auflage als erschöpft gelten kann. — Sie werden sehn, daß ich bei diesem Duell meine gute Laune nicht eingebüßt habe. Aufrichtig gesagt, einen Wagner abthun gehört, inmitten der über alle Maaßen schweren Aufgabe meines Lebens, zu den wirklichen Erholungen. Ich schrieb diesen kleine Schrift im Frühling, hier in Turin: inzwischen ist das erste Buch meiner Umwerthung aller Werthe fertig geworden — das größte philosophische Ereigniß aller Zeiten, mit dem die Geschichte der Menschheit in zwei Hälften auseinander bricht…
Diese Schrift gegen Wagner sollte man auch französisch lesen. Sie ist sogar leichter in’s Französische zu übersetzen als ins Deutsche. Auch hat sie in vielen Punkten Intimitäten mit dem französischen Geschmack, das Lob Bizet(s) am Anfang würde sehr gehört werden. — Freilich, es müßte ein feiner, ein sogar raffinirter Stilist sein, um den Ton der Schrift wiederzugeben —: zuletzt bin ich selber jetzt der einzige raffinirte deutsche Stilist. —
Ich wäre sehr erkenntlich, wenn Sie in diesem Punkte den unschätzbaren Rath von Ms. Gabriel Monod einholen wollten (— ich hätte diesen ganzen Sommer Anlaß gehabt, einen andren Rath einzuholen, den des Ms. Paul Bourget, der in meiner nächsten Nähe wohnte: aber er versteht nichts in rebus musicis et musicantibus: davon abgesehn wäre er der Uebersetzer, den ich brauchte —)
Die Schrift, gut ins Französische übersetzt, würde auf der halben Erde gelesen werden: — ich bin in dieser Frage die einzige Autorität und überdies Psychologe und Musiker genug, um auch in allem Technischen mir nichts vormachen zu lassen.
— Ihren gütigen Brief, hochverehrte Freundin, habe ich mit wahrer Rührung gelesen. Sie haben einfach Recht — ich auch…
Ihnen das Allerherzlichste von Seiten eines alten Freundes wünschend —
Meine Adresse bleibt bis Mitte November, vielleicht noch länger
Torino (Italia) ferma in posta
Mit der Bitte, mich dem verehrten Kreise, in dem Sie leben, angelegentlich zu empfehlen.
N.
Exemplare der Schrift sind vom Verleger gesandt an die Revue, an das Journal des débats und den Figaro.
Eben finde ich noch bei mir ein Exemplar der Schrift. Vielleicht wissen Sie ein Paar für die Frage dieses Briefes noch in Betracht kommende Personen, denen dann ein Exemplar zugedacht sein mag. —