1888, Briefe 969–1231a
1066. An Franz Overbeck in Basel
Sils, den 20. Juli 1888.
Lieber Freund,
nichts hat sich verbessert, weder das Wetter, noch die Gesundheit, — beides bleibt absurd. Aber heute erzähle ich Dir Etwas, das noch absurder ist: das ist der Dr. Fuchs. Derselbe hat mir inzwischen eine ganze Litteratur geschrieben (darunter einen Brief von 12 großen engen Bogen!) Ich bin allmählich dabei zum Igel geworden, und mein altes Mißtrauen hat sich völlig wieder hergestellt. Sein Egoismus ist so schlau und andrerseits so ängstlich und unfrei, daß ihm Alles nichts hilft — sein großes Talent nicht und vieles ächt Artistische seiner Natur. Er beklagt sich, daß er in Danzig 7 Jahre alle Welt gegen sich gehabt habe; und aus hundert Zeichen geht hervor, daß er auch jetzt dort kein Vertrauen genießt. Er möchte fort; er verhandelt mit Dresden, nachdem es mit der Berliner Musikschule mißlungen ist. Und er hat es an keiner Form des Bewerbs und der Adulation fehlen lassen! Ein neues Paket Recensionen ist nur zu belehrend darüber. Vieles Feine und Gute, so lange es sich um Sachen handelt; kommen Personen in Betracht, so regiert das „Unendlich-Kleine“. Er hat, für mich, Randbemerkungen gemacht. „Dies ist stark übertrieben; aber ich verdanke ihm das und das.“ Oder: „sie haßt mich wegen dieses Worts: es war dumm von mir.“ Nachdem es mit der Bewerbung um eine Professur an der Berliner Hochschule schief gegangen war, kamen 3 Professoren derselben nach Danzig und gaben ein Concert. F<uchs> hebt sie in der impudentesten Weise in den Himmel. Zur Entschuldigung dafür schreibt er an mich, er habe sich seinen Verdruß über seinen Mißerfolg nicht anmerken lassen wollen. In Wahrheit bewarb er sich um drei der einflußreichsten Stimmen. — Er hat mir einen Essai über meine Schriften in Aussicht gestellt: dabei drückt er eine wahre Höllenangst aus, daß das Eintreten für mich Atheisten ihm in seiner Stellung als Organist von St. Peter schadet. Natürlich pseudonym!! er hat bereits meine beiden Verleger beschworen, seine Pseudonymität geheim zu halten. Derselbe F<uchs> hatte jahrelang eine Höllenangst, daß seine Beziehung zu mir ihm bei Wagner schade; ein paar Jahre vorher, wo mein Einfluß in der Wagnerschen Welt unbestreitbar war, hatte er sich nur zu eifrig um mich bemüht. Ich habe es vorausgesagt, daß, mit dem Tode Wagners, ihm der Muth zurückkommen würde, an mich zu schreiben. Es traf ein, in fast komischer Weise. — Er ist auch Organist an der Synagoge in Danzig; Du kannst Dir denken, daß er sich in der schmutzigsten Weise über den jüdischen Gottesdienst lustig macht (— aber er läßt sich’s bezahlen!!)
Schließlich hat er mir einen Brief über seine Herkunft geschrieben, mit so viel ekelhaften und unanständigen Indiskretionen über seine Mutter und seinen Vater, daß ich die Geduld verlor und mir in der gröbsten Weise solche Briefe verbeten habe. Ich habe durchaus keine Lust, mir meine Einsamkeit durch den Zufall von Briefen stören zu lassen. — So weit sind wir. Leider kenne ich diese Art Menschen zu gut, um hoffen zu dürfen, daß wir damit zu Ende sind. —
Herr Spitteler hat an mich mit viel Dankbarkeit geschrieben. Es ist mir gelungen, etwas durchzusetzen, woran er verzweifelte: nämlich einen Verleger zu finden. Es handelt sich um eine Aesthetik des französischen Dramas: und siehe da, Herr Credner in Leipzig (Firma Veit, Verlagshandlung des Reichsgerichts) hat mir in der artigsten Weise seine Bereitwilligkeit zugesagt. Diese kleine Humanität meinerseits hat noch einen Humor hinter sich: es war meine Art Rache für einen extrem taktlosen und unverschämten Artikel Spittelers über meine gesammte Litteratur, der letzten Winter im „Bund“ erschienen ist. — Ich habe eine viel zu gute Meinung vom Talente dieses Schweizers, als mich durch eine Rüpelei beirren zu lassen (— ich habe Respekt vor seinem Charakter — was leider in Bezug auf den Dr. F<uchs> nicht der Fall ist) Sp<itteler> ist durch meine Fürsprache auch Mitarbeiter des „Kunstwarts“ und, nach meinem Geschmack, dessen einzige interessante Feder. Im Übrigen habe ich das Blatt abgeschafft: auf einen jüngst eingetroffenen Brief des Hr. Avenarius, der sich schmerzlich über die Abmeldung beklagte, habe ich ihm kräftig die Wahrheit gesagt (— das Blatt bläst in das deutschthümelnde Horn und hat z. B. in der schnödesten Weise Heinrich Heine preisgegeben — Herr Avenarius, dieser Jude!!!)
Jetzt eben wird von mir ein kleines musikalisches Pamphlet gedruckt, etwas sehr Lustiges (— in Turin geschrieben) — Mit herzlichem Gruß und Glückwunsch für Dich und Deine liebe Frau
Dein Nietzsche