1888, Briefe 969–1231a
1226. An Andreas Heusler in Basel
Torino, via Carlo Alberto 6, III den 30. Dezember 1888
Lieber Heusler,
ich gebe Ihnen sofort ein Zeichen meines Vertrauens, wie ich es jetzt nicht an fünf, sechs Andre geben möchte. Alle stupiden Geschichten in meinem Leben kommen aus Deutschland: hören Sie die letzte! — Mein eigner Verleger E. W. Fritzsch in Leipzig, der neun Werke von mir hat (unter Anderem den Zarathustra, das erste Buch aller Bücher, ich bitte um Vergebung für diesen Ausdruck) — besagter F. hat mich bei Gelegenheit des „Fall Wagner“ in der von ihm selbst redigirten musikalischen Wochenschrift auf die schnödeste und persönlichste Weise verhöhnen lassen. Darauf habe ich ihm geschrieben: „wie viel wollen Sie für meine ganze Litteratur? In aufrichtiger Verachtung Nietzsche“ — Antwort: c. 11,000 Mark: das ist der dritte Theil des brutto-Werthes der noch vorhandenen Exemplare (= 33,000 M) Mein eigentlicher Verleger, Herr C. G. Naumann, einer der ehrenwerthesten Geschäftsleute Leipzigs und Besitzer einer großen Druckerei, räth mir unbedingt dazu, die unerhörte Taktlosigkeit des Fritzsch als Glücksfall zu betrachten, da ich dergestalt, unmittelbar vor dem Augenblick, wo ich „weltberühmt“ werde, meine ganze Litteratur in die Hände bekomme. Denn ich bin auch für den Verlag von C. G. Naumann (— 4 Werke bis jetzt) der Alleinbesitzer. Es wird auf meine Kosten gedruckt und betrieben; ich habe noch keinen Centime Honorar empfangen (— ein Kunststück, lieber Heusler! denn ich bin der Gegensatz eines vermöglichen Menschen, zum Glück aber sehr ökonomisch. Ich zahle z. B. hier 25 frs. für mein Zimmer, den Monat, mit Bedienung — ich will’s auch durchaus nicht anders haben)
Moral der Geschichte: ich brauche c. 14000 frs. — In Anbetracht, daß meine nächsten Werke sich nicht nach Tausenden, sondern nach Zehntausenden verkaufen, und zwar zugleich französisch, englisch und deutsch, so darf ich unbedenklich jetzt mir die genannte Summe entleihen. Ich habe in meinem Leben noch keinen centime Schulden gehabt. — Für die französischen Übersetzungen meiner Bücher, sammt den dazu gehörigen Verleger-Arrangements, sorgt einer der einflußreichsten und intelligentesten Männer Frankreichs, der Chef-Redakteur des Journal des Débats und der Revue des deux Mondes, Ms. Bourdeau, der mir gestern noch den allerliebenswürdigsten Brief schrieb — denn ich habe das Glück, daß mich meine Anhänger lieben. Zunächst wird erscheinen: Crépuscule des idoles. — Die Beziehung zwischen uns ist durch Ms. Taine hergestellt, mit einer délicatesse, die ich nicht genug bewundern kann. — Ich gelte, unter uns, in Paris als das geistreichste Thier, das auf Erden dagewesen ist und, vielleicht, noch als etwas mehr..
Lieber Heusler! Der Rest ist Schweigen.. Alles unter uns!
Friedrich Nietzsche
— mi sinceri auguri…
(Anbei folgt ein Wort über mich, absolut gescheut und ohne Hintergedanken: der Verfasser, jetzt bei weitem der erste Musiker, mein maëstro, hat in Basel studirt, als ich dort war — Peter Gast (pseudon. für Heinrich Köselitz)
— ich bitte mir das Blatt zurück, da ich es nicht zwei Mal habe