1888, Briefe 969–1231a
1209. An Franz Overbeck in Basel
Turin, den 22. Dezember 1888
Lieber Freund,
ich danke Dir herzlich für Deine Worte, obgleich Du, gemäß dem tiefen Vertrauen, das wir zu einander haben, vollkommen das Recht hättest, jahrelang zu schweigen. Auch habe ich eben einen Gruß an Andreas Heusler abgeschickt: ein sehr angenehmer Zufall wollte, daß er mir diesen Nacht einfiel und mit besonders guten Empfindungen. Vergebung! aber fast jeder Brief, den ich jetzt schreibe, beginnt mit dem Satz, daß es keinen Zufall mehr in meinem Leben giebt. — C. G. Naumann hat mir noch nicht mitgetheilt, ob und wann die Versendung der Götzen-Dämmerung beginnen soll. Ich glaube, er hat jetzt sehr viel mit mir zu thun; vom Ecce homo sind 2 Druckbogen angelangt. — Dies Mal habe ich Basel so bedacht, daß man schon den Versuch machen muß, mich kennen zu lernen. Und man kommt jetzt wenigstens darüber überein, daß ich nicht stupid bin. Abgesehn von Deinem Exemplar, sind Exemplare für die Bibliothek, für die Lesegesellschaft, für die Basler Nachrichten, für Hr. Spitteler bestimmt. Jakob Burckhardt, der zweimal mit außerordentlichen Ehren vorkommt, hat das allererste Exemplar bekommen, das Naumann für mich schickte. — Was ich wünschte, ist, daß ein capitaler Aufsatz über mich von Köselitz, ein Meisterstück von Präcision und Tiefe, im Kunstwart erschienen, dessen Redakteur mich auch als „Hochzuverehrender!“ anredet, etwa in den Basler Nachrichten abgedruckt würde. Es ist durchaus nichts Provocirendes darin; „daß das Verhalten der Deutschen gegen Nietzsche ein neues Blatt zur Geschichte ihrer zunehmenden geistigen Inferiorität liefert“, wird hoffentlich die Basler nicht beleidigen. —
Und nun der „Fall Fritzsch!“ — Dessentwegen muß ich Dir schreiben. Mein Verleger! Der Verleger des Zarathustra! — Ich habe auf der Stelle an ihn geschrieben: „Wie viel verlangen Sie für meine gesammte Litteratur? In aufrichtiger Verachtung Nietzsche“. Antwort: c. 11 000 Mark. —
Es ist eine Anstandssache für mich, ich werde mich hüten, das Wort „Ehre“ solchem Gesindel gegenüber zu mißbrauchen. — C. G. Naumann, in dieser Sache mir zurathend, empfiehlt noch zu warten und eine Reduktion des Preises zu erzielen. Freilich dürfte die Art, wie jetzt von mir gesprochen wird, ihn stutzig machen, so daß ich nicht an Reduktion glaube. Im Grunde ist die Sache ein Glücksfall ersten Rangs: ich bekomme den Alleinbesitz meiner Litteratur in die Hand im Augenblick, wo sie verkäuflich wird. Denn auch die Werke bei C. G. Naumann gehören allein mir.
Problem: wie schaffe ich jetzt 11 000 Mark? Wie viel würden meine Basler Ersparnisse zusammen ausmachen? (— ich bekenne, sie waren nicht dafür, sondern für die großen Druckkosten der nächsten Jahre bestimmt. Zuletzt könnte ich zum ersten Male in meinem Leben Geld dafür borgen, da die „Zahlungsfähigkeit“ bei mir in den nächsten Jahren gar nicht unbeträchtlich werden dürfte. Mit einem guten Pariser Verleger, Lemerre zB., will ich für Ecce homo, mit Vermittlung dieses allereinflußreichsten Chefredakteurs der beiden dominirenden Blätter Frankreichs, Bedingungen ausmachen, wie die ersten Pariser Romanciers sie haben — und ich werde an Zahl der Auflagen selbst Zola’s Nana überwinden… Was räthst Du? — Dir und Deiner lieben Frau ein fröhliches Weihnachten wünschend
Dein Freund N.
Bemerke, ich hatte Taine ganz direkt um die Mittel ersucht, in Frankreich gelesen zu werden, übersetzt zu werden: zu diesem Zweck nennt er mir Ms. B<ourdeau>, aber so delikat, daß es anders klingt.