1889, Briefe 1232–1256
1232. An Jean Bourdeau in Paris
<Turin, verm. 1. Januar 1889>
Verehrter Herr,
ich schicke Ihnen hiermit den Schluß meiner Proclamation: wir wollen im letzten Satz des ersten Theils das Wort „exekutiren“ vermeiden und dafür etwa sagen: niet- und nagelfest machen. —
Ich halte es aufrichtig für möglich, die ganze absurde Lage Europa’s durch eine Art von welthistorischem Gelächter in Ordnung zu bringen, ohne daß auch nur ein Tropfen Bluts zu fließen brauchte. Anders ausgedrückt: das Journal des Débats genügt..
N.
Meinen ergebensten Glückwunsch zu heute!
1233. An Constantin Georg Naumann in Leipzig (Postkarte)
<Turin, 1. Januar 1889>
Geehrter Herr,
ich muß mir das Gedicht noch einmal ausbitten, das den Schluß vom Ecce homo macht: es heißt Ruhm und Ewigkeit, — ich habe es noch zuallerletzt geschickt.
N.
Der Gedanke einer Publikation Fuchs—Köselitz ist aufgegeben.
1234. An Catulle Mendès in Paris (Entwurf)
<Turin, am 1. Januar 1889.>
Acht Inedita und inaudita, dem Dichter der Isoline meinem Freund und Satyr mit hoher Auszeichnung überreicht: mag er mein Geschenk der Menschheit überreichen
Nietzsche Dionysos
1235. An Catulle Mendès in Paris (Widmung)
<Turin, 1. Januar 1889>
Indem ich der Menschheit eine unbegrenzte Wohlthat erweisen will, gebe ich ihr meine Dithyramben.
Ich lege sie in die Hände des Dichters der Isoline, des größten und ersten Satyr, der heute lebt — und nicht nur heute…
Dionysos
1236. An Constantin Georg Naumann in Leipzig (Telegramm)
<Turin, 2. Januar 1889>
C. G. Naumann Leipzig
Manuscript der zwei Schlußgedichte
1237. An Constantin Georg Naumann in Leipzig
<Turin, 2. Januar 1889>
Die Ereignisse haben die kleine Schrift Nietzsche contra W. vollständig überholt: senden Sie mir umgehend das Gedicht, das den Schluß macht, ebenso wie das letztgesandte Gedicht „Ruhm und Ewigkeit“. Vorwärts mit Ecce!
Telegraphiren Sie Herrn Gast!
Adresse nach wie vor
Turin
1238. An August Strindberg in Holte
<Turin, Anfang Januar 1889>
Herrn Strindberg
Eheu?… Nicht mehr Divorçons?…
Der Gekreuzigte
1239. An Meta von Salis in Marschlins
<Turin, 3. Januar 1889>
Fräulein von Salis.
Die Welt ist verklärt, denn Gott ist auf der Erde. Sehen Sie nicht, wie alle Himmel sich freuen? Ich habe eben Besitz ergriffen von meinem Reich, werfe den Papst ins Gefängniß und lasse Wilhelm, Bismarck und Stöcker erschießen.
Der Gekreuzigte.
1240. An Cosima Wagner in Bayreuth
<Turin, 3. Januar 1889>
Man erzählt mir, daß ein gewisser göttlicher Hanswurst dieser Tage mit den Dionysos-Dithyramben fertig geworden ist…
1241. An Cosima Wagner in Bayreuth
<Turin, 3. Januar 1889>
An die Prinzeß Ariadne, meine Geliebte.
Es ist ein Vorurtheil, daß ich ein Mensch bin. Aber ich habe schon oft unter den Menschen gelebt und kenne Alles, was Menschen erleben können, vom Niedrigsten bis zum Höchsten. Ich bin unter Indern Buddha, in Griechenland Dionysos gewesen, — Alexander und Caesar sind meine Inkarnationen, insgleichen der Dichter des Shakespeare Lord Bakon. Zuletzt war ich noch Voltaire und Napoleon, vielleicht auch Richard Wagner … Dies Mal aber komme ich als der siegreiche Dionysos, der die Erde zu einem Festtag machen wird… Nicht daß ich viel Zeit hätte… Die Himmel freuen sich, daß ich da bin… Ich habe auch am Kreuze gehangen…
1242. An Cosima Wagner in Bayreuth
<Turin, 3. Januar 1889>
Dies breve an die Menschheit sollst du herausgeben, von Bayreuth aus, mit der Aufschrift:
Die frohe Botschaft.
1242a. An Cosima Wagner in Bayreuth
Turin, vermutlich 3. Januar 1889
Ariadne, ich liebe Dich! Dionysos
1243. An Georg Brandes in Kopenhagen
<Turin, 4. Januar 1889>
Meinem Freunde Georg.
Nachdem Du mich entdeckt hast, war es kein Kunststück mich zu finden: die Schwierigkeit ist jetzt die, mich zu verlieren…
Der Gekreuzigte.
1244. An Hans von Bülow in Hamburg
<Turin, 4. Januar 1889>
Herrn Hanns von Bülow..
In Anbetracht, dass Sie angefangen haben und der erste Hanseat gewesen, ich, in aller Bescheidenheit, bloss der Dritte Veuve Cliquot-Ariadne, darf ich Ihnen schon nicht das Spiel verderben: vielmehr verurtheile ich Sie zum „Löwen von Venedig“ — der mag Sie fressen…
Dionysos
1245. An Jacob Burckhardt in Basel
<Turin, 4. Januar 1889>
Meinem verehrungswürdigen Jakob Burckhardt.
Das war der kleine Scherz, dessentwegen ich mir die Langeweile, eine Welt geschaffen zu haben, nachsehe. Nun sind Sie — bist du — unser grosser grösster Lehrer: denn ich, zusammen mit Ariadne, habe nur das goldne Gleichgewicht aller Dinge zu sein, wir haben in jedem Stücke Solche, die über uns sind…
Dionysos.
1246. An Paul Deussen in Berlin
<Turin, 4. Januar 1889>
Nachdem sich unwiederruflich herausgestellt hat, daß ich eigentlich die Welt geschaffen habe, erscheint auch Freund Paul im Weltenplan vorgesehen: er soll, zusammen mit Monsieur Catulle Mendès, einer meiner großen Satyrn und Festthiere sein.
Dionysos.
1247. An Heinrich Köselitz in Annaberg
<Turin, 4. Januar 1889>
Meinem maëstro Pietro
Singe mir ein neues Lied: die Welt ist verklärt und alle Himmel freuen sich.
Der Gekreuzigte.
1248. An Malwida von Meysenbug in Rom
<Turin, um den 4. Januar 1889>
Nachtrag zu den „Memoiren einer Idealistin“
Obwohl Malvida bekanntlich Kundry ist, welche gelacht hat in einem Augenblick, wo die Welt wackelte, so ist ihr doch Viel verziehn, weil sie mich viel geliebt hat: siehe ersten Band der „Memoiren“ … Ich verehre alle diesen ausgesuchten Seelen um Malvida in Natalie lebt ihr Vater und der war ich auch.
Der Gekreuzigte
1249. An Franz Overbeck in Basel
<Turin, um den 4. Januar 1889>
Dem Freunde Overbeck und Frau
Obwohl ihr bisher einen geringen Glauben an meine Zahlungsfähigkeit bewiesen habt, hoffe ich doch noch zu beweisen, dass ich Jemand bin, der seine Schulden bezahlt — zum Beispiel gegen euch… Ich lasse eben alle Antisemiten erschiessen…
Dionysos.
1250. An Erwin Rohde in Heidelberg
<Turin, 4. Januar 1889>
Meinem Brummbär Erwin
Auf die Gefahr hin, dich nochmals durch meine Blindheit gegen Monsieur Taine, der ehemals den Veda gedichtet hat zu entrüsten, wage ich es, dich unter die Götter zu versetzen und die allerliebste Göttin neben dich…
Dionysos.
1251. An Carl Spitteler in Basel (Fragment)
<Turin, 4. Januar 1889>
[+ + +] meiner Göttlichkeit gehört: ich werde die Ehre haben, dafür an mir Rache zu nehmen..
Dionysos
1252. An Heinrich Wiener in Leipzig
<Turin, um den 4. Januar 1889>
Herrn Reichsgerichtsrath Dr. Wiener
Obwohl Sie mir die Ehre erwiesen haben, den „Fall Wagner“ für Wagner vernichtend zu finden, wagt es besagter Wagner dennoch, seine décadence durch eine welthistorische Unzurechnungsfähigkeit ans Licht zu stellen — in lucem aeternam…
Dionysos.
1253. „Den erlauchten Polen“
<Turin, um den 4. Januar 1889>
Den erlauchten Polen
Ich gehöre zu euch, ich bin mehr noch Pole als ich Gott bin, ich will euch Ehren geben, wie ich Ehren zu geben vermag… Ich lebe unter euch als Matejo…
Der Gekreuzigte
1254. An Kardinal Mariani in Rom
<Turin, um den 4. Januar 1889>
Meinem geliebten Sohn Mariani..
Mein Friede sei mit dir! Ich komme Dienstag nach Rom, um seiner Heiligkeit meine Ehrfurcht zu erweisen…
Der Gekreuzigte.
1255. An Umberto I König von Italien
<Turin, um den 4. Januar 1889>
Meinem geliebten Sohn Umberto
Mein Friede sei mit dir! Ich komme Dienstag nach Rom und will dich neben seiner Heiligkeit dem Papst sehn.
Der Gekreuzigte
1255a. An das Haus Baden
Turin, Anfang Januar 1889
Dem Hause Baden
Kinder, das thut nicht gut, wenn man sich mit den verrückten Hohenzollern einlässt, obwohl man, durch Stéphanie, von meiner Rasse ist… Zieht euch bescheiden ins Privatleben zurück, denselben Rath gebe ich Baiern…
Der Gekreuzigte
1256. An Jacob Burckhardt in Basel
<Turin,> Am 6 Januar 1889.
Lieber Herr Professor,
zuletzt wäre ich sehr viel lieber Basler Professor als Gott; aber ich habe es nicht gewagt, meinen Privat-Egoismus so weit zu treiben, um seinetwegen die Schaffung der Welt zu unterlassen. Sie sehen, man muß Opfer bringen, wie und wo man lebt. — Doch habe ich mir ein kleines Studenten-Zimmer reservirt, das dem Palazzo Carignano (— in dem ich als Vittorio Emanuele geboren bin) gegenüber liegt und außerdem erlaubt, die prachtvolle Musik unter mir, in der Galleria Subalpina, von seinem Arbeitstisch aus zu hören. Ich zahle 25 fr. mit Bedienung, besorge mir meinen Thee und alle Einkäufe selbst, leide an zerrissenen Stiefeln und danke dem Himmel jeden Augenblick für die alte Welt, für die die Menschen nicht einfach und still genug gewesen sind. — Da ich verurtheilt bin, die nächste Ewigkeit durch schlechte Witze zu unterhalten, so habe ich hier eine Schreiberei, die eigentlich, nichts zu wünschen übrig läßt, sehr hübsch und ganz und gar nicht anstrengend. Die Post ist 5 Schritt weit, da stecke ich selber die Briefe hinein, um den großen Feuilletonisten der grande monde abzugeben. Ich stehe natürlich mit dem Figaro in näheren Beziehungen, und damit Sie einen Begriff bekommen, wie harmlos ich sein kann, so hören Sie meine ersten zwei schlechten Witze:
Nehmen Sie den Fall Prado nicht zu schwer. Ich bin Prado, ich bin auch der Vater Prado, ich wage zu sagen, daß ich auch Lesseps bin… Ich wollte meinen Parisern, die ich liebe, einen neuen Begriff geben — den eines anständigen Verbrechers. Ich bin auch Chambige — auch ein anständiger Verbrecher.
Zweiter Witz. Ich grüße die Unsterblichen Monsieur Daudet gehört zu den quarante
Astu.
Was unangenehm ist und meiner Bescheidenheit zusetzt, ist, daß im Grunde jeder Name in der Geschichte ich bin; auch mit den Kindern, die ich in die Welt gesetzt habe, steht es so, daß ich mit einigem Mißtrauen erwäge, ob nicht Alle, die in das „Reich Gottes“ kommen, auch aus Gott kommen. In diesem Herbst war ich, so gering gekleidet als möglich, zwei Mal bei meinem Begräbnisse zugegen, zuerst als conte Robilant nein, das ist mein Sohn, insofern ich Carlo Alberto bin, meine Natur unten) aber Antonelli war ich selbst. Lieber Herr Professor, dieses Bauwerk sollten Sie sehn; da ich gänzlich unerfahren in den Dingen bin, welche ich schaffe, so steht Ihnen jede Kritik zu, ich bin dankbar, ohne versprechen zu können, Nutzen zu ziehn. Wir Artisten sind unbelehrbar. — Heute habe ich mir meine Operette — genial-maurisch — angesehn, bei dieser Gelegenheit auch mit Vergnügen constatirt, daß jetzt Moskau sowohl wie Rom grandiose Sachen sind. Sehen Sie, auch für die Landschaft spricht man mir das Talent nicht ab. — Erwägen Sie, wir machen eine schöne schöne Plauderei, Turin ist nicht weit, sehr ernste Berufspflichten fehlen vor der Hand, ein Glas Veltliner würde zu beschaffen sein. Neglige des Anzugs Anstandsbedingung.
In herzlicher Liebe Ihr
Nietzsche
Morgen kommt mein Sohn Umberto mit der lieblichen Margherita, die ich aber auch nur hier in Hemdsärmeln empfange. Der Rest für Frau Cosima… Ariadne… Von Zeit zu Zeit wird gezaubert…
Ich gehe überall hin in meinem Studentenrock, schlage hier und da Jemandem auf die Schulter und sage: siamo contenti? son dio, ho fatto questa caricatura…
Ich habe Kaiphas in Ketten legen lassen; auch bin ich voriges Jahr von den deutschen Ärzten auf eine sehr langwierige Weise gekreuzigt worden. Wilhelm Bismarck und alle Antisemiten abgeschafft.
Sie können von diesen Brief jeden Gebrauch machen, der mich in der Achtung der Basler nicht heruntersetzt. —