1888, Briefe 969–1231a
1171. An Kaiser Wilhelm II (Entwurf)
<Turin, Anfang Dezember 1888>
Ich erweise hiermit dem Kaiser der Deutschen die höchste Ehre, die ihm widerfahren kann, eine Ehre, die um so viel mehr wiegt, als ich dazu meinen tiefen Widerwillen gegen Alles, was deutsch ist, zu überwinden habe: ich lege ihm das erste Exemplar eines Werks in die Hand, mit dem sich die Nähe von etwas Ungeheurem ankündigt — von einer Crisis, wie es keine a<uf> Erden gab, von der tiefsten Gewissens-Collision innerhalb der Menschheit, von einer Entscheidung heraufbeschworen gegen Alles, was bisher geglaubt, gefordert, geheiligt worden war. — Und mit Alledem ist Nichts in mir von einem Fanatiker: wer mich kennt, hält mich für einen schlichten, höchstens ein wenig boshaften Gelehrten, der mit Jedermann heiter zu sein weiß. Diese Schrift giebt wie ich hoffe ein ganz anderes Bild als von einem „Propheten“: und trotzdem oder vielmehr nicht trotzdem — denn alle Propheten waren bisher Lügner — redet aus mir die Wahrheit. — Aber meine Wahrheit ist furchtbar: denn man hieß bisher die Lüge Wahrheit… Umwerthung aller Werthe: das ist meine Formel für einen Akt höchster Selbstbesinnung der Menschheit, — mein Loos will es, daß ich tiefer, muthiger, rechtschaffener in die Fragen aller Zeiten hinunter<zu>blicken wußte als je ein Mensch bisher. Ich fordere nicht das, was jetzt lebt heraus, ich fordere mehrere Jahrtausende gegen mich heraus: ich widerspreche und bin trotzdem der Gegensatz eines neinsagenden Geistes… Es giebt neue Hoffnungen, es giebt Ziele, Aufgaben von einer Größe für die der Begriff bis jetzt fehlte: ich bin ein froher Botschafter par excellence, wie sehr ich auch immer der Mensch des Verhängnisses sein muß… Denn wenn dieser Vulkan in Thätigkeit tritt, so haben wir Convulsionen auf Erden wie es noch keine gab: der Begriff Politik ist gänzlich in einen Geisterkrieg aufgegangen, alle Macht-Geb<ilde> sind in die Luft gesprengt, — es wird Kriege geben, wie es noch nie Kriege gab. —