1888, Briefe 969–1231a
1047. An Franziska Nietzsche in Naumburg
<Sils-Maria> Sonnabend. <16. Juni 1888>
Meine liebe Mutter,
es geht nicht zum Besten. Verzeih, wenn ich etwas kurz schreibe. Das Geld von Kürbitz mußt Du unter allen Umständen acceptiren, sonst kann ich ja nicht meine Bestellungen machen, wie ich’s nöthig habe! Du hast vielleicht nicht mehr im Gedächtniß, was ich von Turin aus schrieb. Ich will dies Mal meinen ganzen Bedarf von Schinken aus Naumburg haben. Im vorigen Sommer habe ich ihn aus Basel, aus Zürich, aus St. Gallen und anderswoher bezogen, mit allerhand Verdruß und Enttäuschung: so daß ich’s nicht wiederholen will. Ich mußte es, wie Du Dir denken kannst, immer mit meiner Gesundheit abbüßen, wenn eine Bestellung schlecht oder halb-genügend ausfiel. Was mir eigentlich allein gut bekommen ist, das war die allerletzte Naumburger Sendung vom September: die runde dicke Lachsschinken-wurst. Deshalb schrieb ich von Turin, daß ich dies Mal von vornherein vernünftig sein wolle und nicht erst alle möglichen schlechten Experimente machen. Da mein Sommer die Länge von 4 Monaten ungefähr hat, so brauche ich mindestens noch 12 Pfund = 6 Kilo Lachsschinken. Es handelt sich um meine ganze Abendmahlzeit für 4 Monate. Wenn Du einen Begriff von der Schwierigkeit meiner Ernährung gerade hier unter den enorm kostspieligen Fremdenverkehr-Verhältnissen hättest, so würdest Du auch sofort verstehn, daß diese sehr einförmige und langweilige Diät relativ bei weitem die billigste und auch gesündeste für mich ist. Ich darf absolut nichts mehr riskiren; je regelmäßiger, desto besser. In einer großen Stadt, wie Turin, steht mir natürlich jede Abwechslung zu Gebote: hier aber nicht (— es wird sofort schrecklich theuer, da ich schon für ein sehr einfaches Mittagessen 2 frs. 25 ct. = 19 Groschen (ohne Trinkgeld) gebe. — Wenn es Dir Mühe macht, meine gute Mutter, so gieb mir eine gute Adresse für ein Geschäft in Gotha oder in Braunschweig. Am Liebsten wäre es mir freilich, so, wie ich’s mir ausgedacht hatte: daß Du selbst den Schinken aussuchtest und zusendetest (— die Kosten des Transport fallen natürlich ebenfalls mir zu —)
Ich bin mit der kleinen Wurst fertig: sie war zu trocken, wegen ihrer Kleinheit. Die größere ist besser, doch lange nicht so gut, wie die dicke runde vom letzten Herbst. Ich glaube, man thut gut, recht große zu schicken. Die übersandten 3 Pfund reichen etwa im Ganzen 14 Tage: das heißt, ich habe noch für 6 Tage zu essen.
Sei nicht böse, daß ich Dir solche Mühe mache: aber ich bitte Dich, sofort wieder eine größere Sendung als das letzte Mal abzuschicken: und vom Allerbesten. Die Kosten dafür kommen bei mir gar nicht in Betracht, wenn es sehr gut und gesund ausfällt, gieb also gerne etwas mehr, vorausgesetzt, daß es prima Qualität ist. — Und geh, bitte, zu Kürbitz!!!!
Der Honig ist mir leider sehr schlecht bekommen: ganz wie im vorigen Sommer. Es trat Erbrechen ein. Das ist Wachs-Honig: aber mein Magen weiß auf keine Art mit Wachs fertig zu werden. —
Ich lege den Einen Brief vom Lama bei; der andre folgt das nächste Mal, damit der Brief nicht doppelt wird. Es wundert mich, daß Lisbeth nichts von meinen 8 Briefen sagt, die ich ihr von Nizza diesen Winter geschrieben habe.
In Liebe
Dein altes Geschöpf
Ich habe Dir noch gar nicht für Deinen herzlichen Brief gedankt. Nach Naumburg kommen, unter meinen Gesundheits-Verhältnissen, ist freilich nicht möglich: es ist nicht Liebhaberei, was mich zum Engadin und zu Nizza verurtheilt — —
Als Adresse genügt eigentlich Sils-Engadin, Schweiz: es giebt nämlich noch 2 andre Sils, nicht im Engadin.