1888, Briefe 969–1231a
1070. An Carl Fuchs in Danzig
Sils, den 24. Juli 1888
Lieber Freund,
lassen wir die Windhose laufen! Das Meer ist wieder glatt. —
Heute melde ich Ihnen etwas Heiteres. Es kommt nächstens von mir ein kleines Pamphlet in die Wochen, das vollgestopft von musikalischen Glaubensbekenntnissen ist, — freilich in der riskirtesten Form!! — Dasselbe ist noch in den guten Tagen von Turin geschrieben und nicht in Sils, nicht zwischen Krankheit und Schneegewölk. Es findet sich, anbei gesagt, ein sehr ehrendes Wort für Riemann darin: obwohl sonst nicht gerade Ehren ausgetheilt werden…
Das Manuscript ist bereits in der Druckerei. Es war schon einmal dort, wurde mir wegen Unleserlichkeit zurückgeschickt. Ich hatte die Abschrift in einem solchen Zustand von Schwäche gemacht, daß die lateinischen Buchstaben ebenso gut als griechische verstanden wurden (— eine kleine Druckprobe bewies mir das) Die neue Abschrift ist viel deutlicher, Dank einer besondren Art von Federn, „Sönneckens Rundschriftfedern“, welche der hiesige Lehrer für meine zitternden Hände anempfahl.
Diese letzten Tage war der Himmel öfter hell, und Sils breitete seinen alten Pfauenschweif verführerisch südlicher Farben aus. Und siehe da! ein alter Musikant stellt sich mir vor, ein Kapellmeister vom Dresdener Hoftheater, der ihm seit 1847 zugehört. Ich wickelte den alten schneeweißen Mann auf — und ein ganzes Stück Musikgeschichte mit den wunderlichsten détails kam zum Vorschein. Würden Sie es glauben, daß Wagner, als Hofkapellmeister, alles Ernstes im „Dresdener Anzeiger“ dem Könige proponirte, den Titel „König“ abzulegen und sich „erblichen Präsidenten des Hauses Wettin“ zu nennen? Insgleichen, daß er ihn aufgefordert hat, das Geld abzuschaffen und den Tauschhandel wieder herzustellen? — Die Strafe für solche Excentricitäten war milde und sogar fein: man nahm Wagnern die klassische Oper und ließ ihn Schund dirigieren. Leider machte Bülow, damals ein ganz junger Bursch, der von der Hofintendantur ein Freibillet hatte, einen Strich durch die Rechnung. Mit einem sehr freimüthigen Gebrauch von seinem Billet pfiff er auf eigne Person eine Oper, die Wagner nicht dirigirte, bei erster Gelegenheit aus — und brachte sie zum Fall. —
Genug für heute! Ich schrieb nur, um Ihnen zu schreiben.
Ihr Freund
Nietzsche.