1888, Briefe 969–1231a
1214. An Carl Fuchs in Danzig
<Turin,> 27. Dezember 1888.
Alles erwogen, lieber Freund, hat es von jetzt ab keinen Sinn mehr, über mich zu reden und zu schreiben; ich habe die Frage, wer ich bin, mit der Schrift, an der wir drucken Ecce homo für die nächste Ewigkeit ad acta gelegt. Man soll sich fürderhin nie um mich bekümmern, sondern um die Dinge, derentwegen ich da bin. — Auch könnte sich in den nächsten Jahren eine dergestalt ungeheure Umgestaltung meiner äußern Lage ereignen, daß selbst jede Einzelfrage im Schicksal und Lebensaufgabe meiner Freunde davon abhängig würde, — nicht zu reden davon, daß solche ephemere Gebilde wie „das deutsche Reich“ in jeder Rechnung für das, was kommt, wegbleiben müssen. — Zunächst wird Nietzsche contra Wagner herauskommen, wenn Alles geräth, auch noch französisch. Das Problem unsres Antagonism<us> ist hier so tief genommen, daß eigentlich auch die Frage Wagner ad acta gelegt ist. Eine Seite „Musik“ über Musik in der genannten Schrift ist vielleicht das Merkwürdigste, was ich geschrieben habe .. Das, was ich über Bizet sage, dürfen Sie nicht ernst nehmen; so wie ich bin, kommt B<izet> Tausend Mal für mich nicht in Betracht. Aber als ironische Antithese gegen W<agner> wirkt es sehr stark; es wäre ja eine Geschmacklosigkeit ohne Gleichen gewesen, wenn ich etwa von einem Lobe Beethovens hätte ausgehen wollen. Zu alledem war W<agner> rasend neidisch auf Bizet: Carmen ist der größte Opern-Erfolg überhaupt in der Geschichte der Oper und hat bei weitem die Zahl der Aufführungen aller Wagnerischen Opern zusammen in Europa für sich allein überboten. —
Die stupide Taktlosigkeit Fritzschs, mich in seinem eignen Blatte zu verhöhnen, hat den großen Nutzen, daß sie mir einen Anlaß bot, F<ritzsch> zu schreiben: wie viel wollen Sie für meine ganze Litteratur? In aufrichtiger Verachtung Nietzsche. Antwort: 11 000 Mark. — Gesetzt, daß ich auf diesen Weise, im letzten Augenblick Alleinbesitzer meiner Werke werde (— denn auch C. G. Naumann besitzt nichts von mir), so war die Dummheit F<ritzsch>s ein Glücksfall ersten Rangs. — Ich will schon dafür Sorge tragen, daß Sie zur rechten Zeit alle meine Schriften, die Ihnen fehlen, zugeschickt bekommen: warten Sie nur noch ein wenig! — Der Gedanke mit Rostock, gesetzt auch daß es ein Interim-Gedanke von zwei Jahren wäre, scheint mir sehr vorzüglich, namentlich in der Übung und Einübung der eigentlichen Dirigenten-Qualitäten, — auch sonst…
Lieber Freund, ich bitte Sie dringend darum, Ihre Schrift über Wagner an meinen Verleger Herrn C. G. Naumann zu schicken: Sie dürfen sie mir mit einer kleinen Vorrede widmen. Wir müssen die Deutschen durch esprit rasend machen…
Den Tristan umgehn Sie ja nicht: es ist das capitale Werk und von einer Fascination, die nicht nur in der Musik, sondern in allen Künsten ohne Gleichen ist. —
Ich schlage vor, den ausgezeichneten Aufsatz des Herrn Köselitz über mich als Vorrede zu Ihrer Schrift gegen W<agner> voranzudrucken: macht einen prachtvollen Eindruck.
Titel: Der Fall Nietzsche
von Peter Gast und Carl Fuchs