1888, Briefe 969–1231a
1159. An Paul Deussen in Berlin
Torino, via Carlo Alberto 6,III am 26. Nov. 88
Lieber Freund,
ich habe nöthig, in einer Sache allerersten Rangs mit Dir zu reden. Mein Leben kommt jetzt auf seine Höhe: noch ein paar Jahre, und die Erde zittert von einem ungeheuren Blitzschlage. — Ich schwöre Dir zu, daß ich die Kraft habe, die Zeitrechnung zu verändern. — Es giebt Nichts, das heute steht, was nicht umfällt, ich bin mehr Dynamit als Mensch. — Meine Umwerthung aller Werthe, mit dem Haupttitel „der Antichrist“ ist fertig. In den nächsten zwei Jahren habe ich die Schritte zu thun, um das Werk in 7 Sprachen übersetzen zu lassen; die erste Auflage in jeder Sprache c. eine Million Exemplare. — Bis dahin erscheint noch von mir:
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Götzen-Dämmerung. Oder: wie man mit dem Hammer philosophirt. Das Werk ist fertig, ich habe gestern den Auftrag gegeben, daß Dir eins der ersten Exemplare zugeht. Lies es, ich bitte Dich, mit dem tiefsten Ernste, wie sehr es auch immer im Verhältniß zu dem, was kommt, ein heiteres Buch ist.
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Ecce homo. Wie man wird, was man ist. Dies Buch handelt nur von mir, — ich trete zuletzt darin mit einer welthistorischen Mission auf. Es ist bereits im Druck. — Darin wird zum ersten Mal Licht über meinen Zarathustra gemacht, das erste Buch aller Jahrtausende, die Bibel der Zukunft, der höchste Ausbruch des menschlichen Genius, in dem das Schicksal der Menschheit einbegriffen ist. — Und hier kommt mein Anliegen, dessenthalben ich schreibe.
Ich will meinen Zarathustra zurück aus den Händen von E. W. Fritzsch, ich will meine ganze Litteratur selbst in den Händen haben, als deren Alleinbesitzer. Sie ist nicht nur ein ungeheures Vermögen, denn mein Zarathustra wird wie die Bibel gelesen werden, — sie ist einfach in den Händen von E. W. Fritzsch nicht mehr möglich. Dieser unsinnige Mensch hat mich eben jetzt in meiner Ehre beleidigt: ich kann gar nicht anders, ich muß ihm die Bücher wegnehmen. Auch habe ich schon mit ihm verhandelt: er will für meine ganze Litteratur c. 10,000 Thaler. Zum Glück hat er nicht den geringsten Begriff davon, was er besitzt. — In summa: ich brauche 10,000 Thaler. Denke nach, alter Freund! Ich will nichts geschenkt, es handelt sich um ein Anleihen zu jeden Zinsen, die gewünscht werden. Ich habe übrigens keinen Pfennig Schulden, besitze einige Tausende noch zum Verbrauchen und bin durch meine Basler Pension außer Sorge. (— Die „Götzen-Dämmerung und der „Ecce homo“ werden mit einem gewissen Gelde gedruckt, das irgend ein Wunder mir seiner Zeit aus Berlin zukommen ließ.) Nur müßte das Geld mir bald zu Gebote stehn, bevor nämlich F<ritzsch> eine Witterung bekommt, was er hat. Dann würde ich Alles beieinander in den Händen des vertrauenswürdigen Naumann in Leipzig haben.
Dein Freund Nietzsche
(— mit bestem Gruß an die „tapfere Kameradin“ —)
Karte aus Madrid erhalten. — Meine Gesundheit ist jetzt wundervoll, ich bin dem Stärksten gewachsen, — Du würdest Deinen Ohren nicht trauen, wenn Du hörtest, daß die 3 genannten Ungeheuer von Büchern zwischen dem 24 August und 4 Nov. entstanden sind!