1888, Briefe 969–1231a
1071. An Carl Spitteler in Neuveville
Sils, Engadin d. 25 Juli 1888.
Sehr geehrter Herr,
was Sie mir melden, betrübt mich. Die Motivierung, die Herr Credner seinem Nein giebt, wäre einfach eine Dummheit, wenn sie wahr wäre. Aber sie ist natürlich nur ein Vorwand. Ich kam gestern mit einem Herrn, dem die intimere Geschichte des Dresdener Hoftheaters seit 40 Jahren bekannt war, zu dem Schluß, daß alle Ablehnungen, von Opern, von Büchern, von Diensten falsch motiviert werden, — daß der eigentliche Grund nie zu Worte kommt. Was mag der in Ihrem Falle sein? — Ein Capitel oder die Einleitung eines Werks vorher der Presse anzuvertrauen gehört in Frankreich zu den regelmäßigsten Klugheiten der buchhändlerischen réclame: — es wirkt „appetitmachend“. Zudem müßte der Charakter, der Werth jener Einleitung Herrn Credner darüber aufgeklärt haben, weß Geistes Kind ihr Autor ist: der sein Autor werden möchte…
Meine eignen Erfahrungen mit Verlegern sind, anbei gesagt, hundert Mal bösartiger als die Ihrigen. Es giebt Sachen darunter, die man nicht aufs Papier bringt — Aber ich bin im Kriege; und ich begreife es, wenn man gegen mich im Kriege ist. In den letzten Jahren habe ich c. 4000 frs Druckkosten ausgegeben: es ist längst die Unmöglichkeit bewiesen, daß ein Buch Nietzsches von jemandem anders gedruckt wird als von ihm selbst. Dies unter uns. —
Was meine Stellung zur deutschen Presse betrifft, nach der Sie fragen, so ist sie seltsam genug: sie gründet sich auf die Furcht, die man vor mir hat. Ich bin einer der Wenigen, die kein Bedenken tragen, sich zu compromittiren: eine sehr bedenkliche Art Mensch! Thatsächlich erfreue ich mich eines ganz beträchtlichen Ansehens — und werde, heimlich, viel gelesen. Es ist etwas, der unabhängigste Geist Europas zu sein. Ich habe in jeder größeren Stadt einen Verehrer-Kreis, selbst noch in Baltimore. Mein werthvollster Schritt dazu, um mir ein-für-alle Mal Respekt zu garantiren, war mein Attentat auf die deutsche „Bildung“ zur Zeit der höchsten nationalen Selbst-Anbetung, bei Gelegenheit eines miserablen aber allseits bewunderten Buchs des altersschwachen Strauß. Es gab gegen 200 zum Theil sehr leidenschaftliche Antworten darauf — und die Sympathie aller tieferen Naturen. Der alte Hegelianer Bruno Bauer war seitdem Nietzschianer. Im Übrigen war ich damals durchaus kein „Neuling“, wie Sie zu glauben scheinen. Ich hatte die Autorität eines jungen Genies in allen Universitäts-Kreisen Deutschlands, war seit meinem 22.ten Jahr Mitarbeiter der ersten gelehrten Zeitschriften und erhielt von Leipzig den Doktortitel ehrenhalber „ob scriptorum praestantiam“ (— lauter philologica —) Ich hatte insgleichen die ganze Wagnerische Partei hinter mir.
Jene Furcht ist — ich möchte es nicht verkennen — von der schätzenswertesten Art: nämlich jeden Augenblick bereit, in Ehrfurcht umzuschlagen. Es ist mir noch nie gelungen, einen persönlichen Feind zu haben.
Die erste Klugheit, um „in der Gesellschaft“ in Betracht zu kommen, ist, gleich beim Eintritt, ein Duell“ sagt Stendhal. Das wußte ich nicht, aber das habe ich gemacht. —
Zum Schluß erlaube ich mir eine Frage. Haben Sie bereits mit Robert Oppenheim (Berlin) in Betreff Ihres Werks verhandelt? Derselbe hat eine verwandte Litteratur in Verlag, zum Beispiel das beste deutsche Buch, das es über Frankreich giebt „Frankreich und die Franzosen von Karl Hillebrandt.“ — Oder soll ich schreiben? —
Mit dem Ausdruck der
freundlichsten Gesinnung
Ihr
ergebenster
Nietzsche
Adresse: Robert Oppenheim
Verlagshandlung
Berlin W
Matthäi-Kirchstraße 7.