1888, Briefe 969–1231a
1024. An Franziska Nietzsche in Naumburg (Fragment)
<Turin, 16. April 1888>
[+ + +]
— Der Tod meines alten Vormundes betrübt mich sehr: ich denke auch noch daran, daß er mir den einzigen Prozeß meines Lebens glücklich in Gang gebracht hat, und daß ohne die von ihm geretteten Gelder Dein altes Geschöpf in den letzten Jahren nichts hätte herausgeben und drucken können. So hängt Alles zusammen, wo man’s oft am wenigsten vermuthet. Ich will sehen, daß ich der Tante ein Paar Worte der Theilnahme schreibe.
— Zuletzt eine Bitte, die ich nur sehr ungern an Dich richte. Jener Dänische Gelehrte Dr. Brandes, der über mich die Vorlesung hält, bittet mich um meine Photographie auf das Allerinständigste, indem er mir zugleich die seine schickt. Nun ist der Fall so außerordentlich, daß ich ihm wirklich Nichts jetzt verweigern möchte. Giebt es noch eine Photographie, und wäre es die letzte, so wollen wir sie ihm schicken. Ich verspreche Dir für meinen ersten Aufenthalt in Deutschland, mich für Dich photographiren zu lassen.
Ich nehme an, daß Du noch ein Bild von den guten Schultzschen hast. Opfere es, bitte. Und mache diesen Adresse:
Herrn Dr. Georg Brandes
in
(St. Anne-Platz 24) Kopenhagen
(Dänemark)
Herr Köselitz schrieb mir heute: „beim Lesen Ihres gütigen Briefs wurde ich fast schwindelig vor Entzücken über Brandes. Mit ihm scheint mir ein wirklicher Anfang Ihrer Wirksamkeit gemacht: denn bis jetzt hatten Sie keine Anhänger, Jünger, Schüler, sondern nur Diebe. Und Jedweder kann da nicht hintreten und den Menschen von Ihnen predigen; Ihr erster Prediger muß selber eines gewissen Ansehens genießen. Dies ist bei Brandes der Fall. Er darf von Ihnen reden, ohne Sie zu compromittiren oder Ihnen gar zu schaden; er ist kein Fremdling unter Ihresgleichen, wie die gewöhnlichen andren Besprecher Ihrer Gedanken. Zudem hat er die gelesensten Zeitschriften zu seiner Verfügung und ein europäisches Publikum (— er schreibt dänisch, französisch, deutsch, schwedisch, russisch, polnisch)“
Turin, zum Schluß gesagt, wäre wirklich der Ort, wo ich meine alte Mutter einmal am liebsten hätte. Das würde Dir sehr viel Vergnügen machen: es ist nur so arg weit.
Dein altes Geschöpf