1888, Briefe 969–1231a
1186. An Paul Deussen in Berlin
Torino, via Carlo Alberto 6 III Dienstag <11. Dezember 1888>
Lieber Freund,
ich bin aufrichtig erfreut über Deinen Brief: er entspricht in allen Hauptsachen meiner eignen Auffassung und auch der in diesen Dingen maßgebenderen, der meines mir unschätzbaren Leipziger Verlegers C. G. Naumann. Dieser räth, zu warten: Fritzsch werde klug genug sein, einen sicheren Betrag für eine sehr unsichere und bei philosophischem Verlag zehnfach unsicherere Zukunft in die Hände zu bekommen. Ich betrachte diesen Lage als eine wirkliche Glückslage. Denn meine frühere Litteratur jetzt um wenige Tausend Mark zurück zu bekommen, unmittelbar, bevor deren Werth begriffen wird, wäre ohne diesen Zufall nicht möglich gewesen. Nichts liegt mir ferner als F<ritzsch> „ärgern“ zu wollen. Der Fall ist, daß er beim Erscheinen vom „Fall Wagner“ in seiner eignen von ihm redigirten Zeitung die schnödesten persönlichen Bemerkungen über mich hat drucken lassen: so daß mir von allen Seiten, auch von Naumann, eine wirkliche Entrüstung ausgedrückt wurde. Du mußt empfinden, welcher Jubel darüber bei den Wagnerianern ist, daß mein eigner Verleger mich nicht nur in Stich läßt, sondern verhöhnt. — Lassen wir das Wort „Ehre“ aus dem Spiel: es ist nur nicht mehr anständig, meine Bücher in solchen Händen zu lassen. —
Meine Gesundheit ausgezeichnet und vollkommen unverwüstlich, obwohl ich, der Reihe nach, lauter ungeheure Aufgaben abzumachen hatte. Jedermann ist erstaunt über die Heiterkeit und den Stolz, mit dem ich hier in Turin lebe: ich werde behandelt wie ein Prinz, — ich bin es vielleicht auch. —
Mein Verleger hat den Auftrag, Dir das zuletzt fertig gewordene Werk die „Götzen-Dämmerung“ zu überreichen. Es ist nicht unmöglich, daß eine französische Übersetzung davon erscheint: ich stehe in Verhandlungen. Was jetzt gedruckt wird, heißt Ecce homo. Wie man wird, was man ist. Dies erscheint zugleich englisch, französisch und deutsch. — Die Briefe, die ich in der letzten Zeit bekomme, vor Allem aus der ersten Gesellschaft von St. Petersburg, auch von einem wirklichen Genie von Dichter, der Schwede ist, haben alle etwas von einem welthistorischen Accente, wie als ob das Schicksal der Menschheit in meiner Hand liegt. —
Ich habe meinen ausgezeichneten Freund und maëstro Peter Gast (— sein eigentlicher Name ist Heinrich Köselitz) aufgefordert, Dir seinen Besuch zu machen. Er hat bei weitem den tiefsten Begriff von mir, Du kannst ihn über Alles fragen. Man kommt ihm übrigens in Berlin sehr entgegen: es ist wahrscheinlich, daß Joachim selbst sein „provençalisches Quartett“ (das mir gewidmet ist —) zum ersten Male vorführt. Unter uns, ein reizendes Mädchen aus der reichsten Aristokratie von Berlin (mit großem Grundbesitz in Hinterpommern) ist der Grund seiner Berliner Existenz: er hat einen Grafen Schlieben zum Rivalen, aber die artige Person will lieber sterben als — — Nochmals, dies unter uns. — Er war den Sommer auf ihrem Waldschloß und hat die Concurrenz von lauter Gardelieutnants aus umwohnendem Adel nur zu glücklich ausgehalten. — Eine Geschichte, die in Venedig begann. — Die Herrn Musikanten! — — — — Ich selbst habe dieser Tage beinahe eine Liebeserklärung von der charmantesten und geistvollsten Frau von St. Petersburg bekommen, Madame la Princesse Anna Dmitriewna Ténicheff, einer große<n> Verehrerin meiner Bücher. Georg Brandes geht diesen Winter nach St. Petersburg und hält Vorträge über mich. —
Mich Dir und Deiner lieben Frau
auf das Herzlichste
empfehlend
Dein Nietzsche
Weitere Verhandlungen über Beschaffung von Geld bitte ich dringend zu unterlassen. Wenn die Summe noch in dem von Naumann erwarteten Grade heruntergeht, bin ich selbst der Lage gewachsen.