1886, Briefe 655–784
771. An Unbekannt (Entwurf)
<Nizza, vermutlich gegen Ende Oktober 1886>
Hochverehrter Mann
ich bin wie Jemand, der von einem Tage zum Andern von der Hand in den Mund lebt, eine Hundeexistenz, aber immer des Glaubens, irgend wer werde mich eines Tages aus diesem unwürdigen und jämmerlichen Dasein herausziehn
Ich brauche fünf, sechs Bedingungen, um zu jener tiefen Herbstes-Ruhe zu kommen, die meiner Philosophie Reife und Süße — — —
Die entscheidenden Wendungen meines Lebens: ach, wer hat etwas davon verstanden! Die jämmerliche unwürdige Existenz hier im Süden, aus der mich Niemand herauszieht
Im Grunde habe ichs bisher zu drei Lesern gebracht, die mir Ehre machen und mich zu „verstehen“ wissen: das ist Bruno Bauer, J<acob> B<urckhardt> und H<ippolyte> Taine; von denen ist der Erste nun auch schon todt.
Es hat sich noch nicht einmal eine vorläufige Form des Anstands herausgebildet, mit der man mir zu begegnen hat, ich bin immer noch den allerdümmsten Verwechslungen ausgesetzt (wohin zB des braven Widemanns Lobspruch gehörte) Hat bis heute Jemand meine „Geburt der Trag.“ (verstanden)? (ich habe nichts gemerkt als daß sie auf das unverschämteste ausgenützt wird zB. von dem Dramat. Linden)
Es ist Ehren-Sache meiner Freunde, für meinen Namen, Ruf und weltliche Sicherheit thätig zu sein und mir eine Burg zu bauen, wo ich gegen die grobe Verkennung bewahrt bin: ich selbst will keinen Finger mehr dafür rühren.