1886, Briefe 655–784
729. An Franz Overbeck in Basel
Sils-Maria den 5. August 1886.
Lieber Freund,
eine Mittheilung und eine Bitte! — Eben telegraphirt mir Fritzsch aus Leipzig „Endlich im Besitz!“ — Worte, die mir große Freude machen. Ein verhängnißvolles Versehn aus meiner Basler Zeit (etwas „zu viel Vertrauen“, wie so oft in meinem Leben) ist damit ad acta gelegt. Wie gut, daß ich diesen Frühling nach Deutschland gieng! Dasselbe habe ich noch ein Mal zu sagen, in Hinsicht darauf, daß ich meine Lage gegenüber Verleger-Möglichkeit und Publikum mir ad oculos demonstrirte; auch daß ich persönlich mit dem ausgezeichneten Brüder-Paar Naumann verhandelte. Das neue Buch, ein Resultat, welches aus der Ferne gar nicht hätte erreicht werden können, ist eben fertig geworden; der Auftrag, ein Exemplar an Dich nach Basel abzusenden, ist bereits seit einigen Tagen ergangen. Nun kommt die Bitte, alter Freund: lies es, von vorne nach hinten, und laß Dich nicht erbittern und entfremden — „nimm alle Kraft zusammen“, alle Kraft Deines Wohlwollens für mich, Deines geduldigen und hundertfach bewährten Wohlwollens, — ist Dir das Buch unerträglich, so doch vielleicht hundert Einzelheiten nicht! Vielleicht auch, daß es dazu beiträgt, ein paar erhellende Lichter auf meinen Zarathustra zu werfen: der deshalb ein unverständliches Buch ist, weil er auf lauter Erlebnisse zurückgeht, die ich mit Niemandem theile. Wenn ich Dir einen Begriff meines Gefühls von Einsamkeit geben könnte! Unter den Lebenden so wenig als unter den Todten habe ich Jemanden, mit dem ich mich verwandt fühlte. Dies ist unbeschreiblich schauerlich; und nur die Übung im Ertragen dieses Gefühls und eine schrittweise Entwicklung desselben von Kindesbeinen an macht mir’s begreiflich, daß ich daran noch nicht zu Grunde gegangen bin. — Im Übrigen liegt die Aufgabe, um deren willen ich lebe, klar vor mir — als ein factum von unbeschreiblicher Traurigkeit, aber verklärt durch das Bewußtsein, daß Größe darin ist, wenn je der Aufgabe eines Sterblichen Größe eingewohnt hat. —
— Ich bleibe hier bis Anfang September.
Treulich Dein F. N.