1886, Briefe 655–784
685. An Bernhard Förster in Asuncion
Nizza den 11. April 1886.
Mein lieber Schwager,
es macht mir einen ganz wunderlichen Eindruck, meinen ersten Brief an Dich übers Meer um einer Geschäftssache Willen abschicken zu müssen. Ein Herr Feer, der hier mit einem andren Deutschen zusammen eine Fabrik besitzt, hat sich an mich gewendet, um mit seinem Anliegen von Dir gut aufgenommen zu werden. Es handelt sich um aromatische Essenzen, welche er in Paraguay einzuführen wünscht: — ein wohlriechendes Anerbieten, dessen Fürsprecher ich mit Vergnügen bin. Herr Feer ist ein Verwandter der mir befreundeten Familie Albert Köchlin, allem Anscheine nach ein wackerer zuverlässiger Mensch, auf den Du mit Deinem grünen Buche einen, wie es scheint, beinahe verführerischen Eindruck hervorgebracht hast; genug, er schwärmt seitdem für Paraguay, denkt selbst an Reisen dahin usw. Er will Dir schreiben, — nun, welchen Sinn und Werth sein Anerbieten hat, weiß ich nicht zu beurtheilen, aber der Mensch ist einer Empfehlung werth. —
Seit einer Woche sind Heinze’s aus Leipzig hier: Ihr könnt denken, wie viel von Euch die Rede war und ist!
Übermorgen geht es aber fort: ich versuche es wieder mit Venedig, wie die letzten Jahre. Etwas überarbeitet; viel Abschreiberei; schließlich fehlt mir die Lust, etwas von mir „öffentlich“ zu machen. Kurz, ein Fädchen um’s Manuscript und ad acta gelegt. —
Nach den Zeitungsberichten zu urtheilen, müßt Ihr gerade auf die Revolution in Montevideo zugesteuert sein; der Hintergrund dieser Bewegung hat mich für Deine Projekte nachdenklich gemacht. — Dies Argentinien könnte schließlich Par<aguay> wie eine Enclave mit seinen Zöllen tyrannisiren.
Verzeihung! Es gab übrigens diesen Winter hier Vorträge über Südamerika, worin Parag<uay> auf eine glänzende Art ins Licht gestellt wurde: nämlich in Hinsicht seiner Bewohner, in denen die milden und arbeitsamen Instinkte wundersam mit Heroismus und Ausdauer in starken Gefühlen vereinigt seien. Der Redner schloß mit dem Gedanken, daß der Mensch vielleicht am schönsten und vollständigsten gedeihe, wo er der Natur am nächsten lebe. Wozu die Zuhörer Beifall klatschten. —
Mit den herzlichsten Wünschen Dein
Friedrich Nietzsche.
Adresse bis Mitte Juni: Venezia poste restante. Nachher Sils-Maria, Engadin, Schweiz.
Der Tod des Professor Vischer-Heusler in Basel hat mir sehr weh gethan. — Rohde ist bereits in Leipzig. Im Herbst hoffe ich dort hin kommen zu können. Mit Credner und Schmeitzner Verdruß über Verdruß.
Claire Heinze will von hier aus ebenfalls an Euch schreiben. Ein Brief von mir, adressirt an Frau Dr. Förster, Asuncion, Paraguay poste restante, ist hoffentlich Euch zu Händen gekommen? —