1886, Briefe 655–784
734. An Heinrich Köselitz in München
Sils-Maria, den 16. August 1886.
Lieber Freund,
ein paar Worte schleuniger Entgegnung auf Ihren eben empfangenen Liebens- und dankenswerthen Brief. Man theilt mir bei Tische mit, daß es jetzt in München den ganzen Nibelungen-Cyklus zu hören giebt, insgleichen noch einmal im September.
Da Sie davon nichts schreiben, muthmaße ich, es möchte Ihnen unbekannt sein; vielleicht daß Sie diese ausgezeichnete Gelegenheit am Schopfe nehmen. —
Es freut mich, daß Ihre Parsifal-Erfahrungen meinen aus der Ferne her gemachten und gewagten Urtheilen und Vorurtheilen nicht gänzlich Unrecht gegeben haben. —
— Daß Sie mir nur nicht eines Tags nach Venedig davonsausen! Vergebung! — Herr Lanzky hat mir einen Ausflug nach Corte auf Corsika für Oktober proponirt; ich habe bisher mich nicht entschließen wollen. Gienge ich dorthin (es ist zuletzt ein kleiner Umweg über Nizza), so thäte ichs ebenso sehr um Ihretwillen als um meiner jetzt entworfenen Zukunfts-Aufgabe willen.
Corte ist die Stadt der Empfängniß Napoleon’s: wie ich ausgerechnet habe. Scheint es nicht, daß eine Wallfahrt dorthin eine geziemende Vorbereitung für den „Willen zur Macht. Versuch einer Umkehrung aller Werthe“ ist? —
Seltsam! Ich war diese Zeit über unbeschreiblich traurig und vor Sorgen schlaflos. —
Besuchen Sie Seydlitzens, bitte, und bringen Sie meine allerschönsten Grüße. Seydlitz hat mir einen Brief geschrieben, worin viele guten und schlauen Dinge vorkamen: er hat Geist. —
Mit der herzlichsten Theilnahme an Ihrer Reise
Ihr Freund N.
Das zweite Exemplar war eigentlich Frau Röder-Wiederhold zugedacht, deren Adresse ich nicht habe. Herrn Widemann habe ich natürlich eins zugesandt. —