1886, Briefe 655–784
721. An Franz Overbeck in Basel
<Sils-Maria, 14. Juli 1886>
Lieber Freund,
auch ich hätte dieses Jahr sehr gern Dich wiedergesehn: aber ich sehe schon, daß es nichts wird. Mein Wille, den Sommer über im Thüringer Wald, den Herbst in München zu verleben, scheitert an der force majeure (oder mineure) meiner Gesundheit. Das Leben im jetzigen Deutschland ist mir gänzlich unzuträglich, es wirkt vergiftend und lähmend auf mich; und meine Menschenverachtung wächst jedes Mal dort in gefährlichen Proportionen. Mit Deinem guten Willen zum „Außerhalb“ und „a parte“, wie er deutlich aus Deinem Plane der Wohnungsveränderung hervorgeht, bin ich deshalb gründlich einverstanden: Deine Lage in Basel, wahrlich nicht zu beneiden, aber mindestens auch nicht zu bejammern, hat etwas Vorsichtiges und Feines, das Du nicht leicht wo anders wieder finden könntest. Schade, daß dieser Ort mir klimatisch so unmöglich ist: denn mit wem redete ich jetzt lieber meine Dinge als mit Dir und Burckhardt? Auch bin ich wirklich den Baslern gewogen: und es freut mich immer, einem Basler zu begegnen (wie es dieser Tage wieder der Fall war: und jedes Mal fällt mir auf, wie imprägnirt mit dem Burckhardtschen Geiste und Geschmacke alles ist, was von dorther kommt: natürlich vorausgesetzt, daß etc. etc.) Zuletzt aber danke ich Gott (richtiger: meiner Krankheit, und, zu einem sehr guten Theile, Dir, lieber Freund!) daß ich nicht mehr dort bin. In einem falschen Milieu leben und seiner Lebensaufgabe ausweichen, wie ich es that, solange ich Philologe und Universitätslehrer war, richtet mich physisch unfehlbar zu Grunde; und jeder Fortschritt auf meinem Wege hat mich bisher auch der Gesundheit im leiblichsten Sinne näher gebracht. Jede Reise nach Deutschland war deshalb bisher immer ein Rückfall, eine Schwächung meiner Kräfte: leider waren solche Reisen aus diesem oder jenem Grunde immer nöthig. Mit meiner letzten (deren schlimme Nachwirkungen ich bis jetzt noch nicht überwunden habe) bin ich andererseits zufrieden, weil Mehreres durch dieselbe, wenn nicht in Ordnung, so doch in Klarheit gebracht worden ist (und weil, hoffentlich, solche Reisen nunmehr immer seltner werden dürfen —) Meine Mutter fand ich, zu meiner großen Beruhigung, heiterer, thätiger und selbstgewisser als je in ihrem hübschen Neste: wir wollen uns kleine Rendezvous’ vereinbaren, etwa in der Schweiz, da gegen Naumburg leider sich das Gleiche einwenden läßt, wie gegen Basel — es ist mir nachtheilig, von Kindesbeinen an) Beiläufig: mein Zukunftsort wird wahrscheinlich, für Frühling und Sommer, Göschenen sein.
Fritzsch hat sich bisher noch nicht mit Schm<eitzner> verständigen können, aber vielleicht kommt es doch noch dazu, da F<ritzsch> großen Werth darauf zu legen scheint, den „ganzen Nietzsche“, so wie den ganzen Wagner in seinem Verlag zu haben: eine Nachbarschaft, die auch mir von Grund aus wohlthut. Denn, Alles in Allem gerechnet, war R<ichard> W<agner> der Einzige bisher, mindestens der Erste, der ein Gefühl davon gehabt hat, was es mit mir auf sich habe. (Wovon z. B. Rohde, zu meinem Bedauern, auch nicht die blasseste Vorstellung zu haben scheint, geschweige denn ein Gefühl von Pflicht gegen mich.) In dieser Universitäts-Luft entarten die Besten: ich spüre fortwährend als Hintergrund und letzte Instanz, selbst bei solchen Naturen wie R<ohde> eine verfluchte allgemeine Wurschtigkeit und den vollkommnen Mangel an Glauben zu ihrer Sache. Dafür, daß Einer (wie ich) diu noctuque incubando von frühester Jugend an zwischen Problemen lebt und da allein seine Noth und Glück hat, wer hätte dafür ein Mitgefühl! R. Wagner, wie gesagt, hatte es: und deshalb war mir Triebschen eine solche Erholung, während ich jetzt keinen Ort und keine Menschen mehr habe, die zu meiner Erholung taugten. — Meine Verhandlungen mit allen möglichen Verlegern haben mir schließlich einen einzigen Ausweg gezeigt, den ich jetzt gehe. Ich mache den Versuch, etwas auf meine Unkosten erscheinen zu lassen: gesetzt, es werden 300 Exemplare verkauft, so habe ich die Kosten heraus und kann das Experiment eventuell wiederholen. Die Firma C. G. Naumann giebt ihren sehr achtungswerthen Namen dazu her. Dies unter uns. Die Vernachlässigung durch Schm<eitzner> war ungeheuer: seit 10 Jahren keine Exemplare an Sortimenter vertheilt, ebensowenig Redaktionsexemplare; nicht einmal ein Commissionslager in Leipzig; keine Anzeigen, — kurz, meine Schriften von „Menschliches Allzumenschliches“ an, sind „anecdota“. Von „Zarathustra“ sind je 60—70 Exemplare verkauft etc. etc. Schm<eitzner>’s Entschuldigung ist immer: daß seit 10 Jahren keiner meiner Freunde mehr den Muth habe, für mich einzutreten. Er will 12500 Mark für meine Schriften. Die Deinigen hofft er in Dresden zu verkaufen, wie Fritzsch erzählt. — Geld glücklich angelangt.
In Treue Dein Freund
N.
Köselitz kündigt mir eben, als sehr wahrscheinlich, für Herbst seine Übersiedelung nach Nizza an; dasselbe that, vor ein paar Wochen, Herr Lanzky. Bis Mitte September bleibe ich hier, wo es nicht an alten Bekannten fehlt, die Mansouroff, die 2 Fynn’s, Miss Helen Zimmern u.s.w. u.s.w. Aus München die 2 Gräfinnen Bothmer. Bitte, laß Schm<eitzner> nichts davon merken, daß ich von seinen Verhandlungen mit Fritzsch weiß, ebenso vom schlechten Rufe des Ehrlecke: er benutzt dergleichen als Pressionsmittel gegen mich. Er will nämlich, daß ich selbst ihm die Bücher abkaufe (Brief letzter Woche)