1886, Briefe 655–784
669. An Elisabeth Förster in Naumburg
<Nizza,> Sonntag. <7. Februar 1886>
Mein liebes altes Lama,
soeben kommt Dein hübscher und lustiger Vorschlag, und wenn er irgendwie dazu dient, Deinem Herrn Gemahl eine gute Meinung über den unverbesserlichen Europäer und Anti-Antisemiten, Deinen ganz unmaßgeblichen Bruder und Eckensteher Fritz beizubringen (obwohl er gewiß jetzt Anderes zu thun hat, um sich über mich zu „bekümmern“), so will ich gern in die Fußstapfen von Fräulein Alwinchen treten und ersuche Dich angelegentlich, unter gleichen Verhältnissen und Bedingungen mich zum südamerikanischen Grundbesitzer zu machen: mit der ausdrücklichen Variation, daß das Stückchen Erde nicht Friedrichsland oder Friedrichshain heißt (weil ich zunächst noch nicht daselbst „sterben und begrabbelt-grabbelt sein“ möchte), sondern, zur Erinnerung daran, wie ich Dich getauft habe — Lamaland.
Ernstlich geredet: ich würde Dir Alles schicken, was ich habe, wenn es helfen könnte, Dich bald wieder zurück zu führen. Im Grunde sind alle Menschen, die Dich kennen und lieben, dieser Meinung, daß es dreitausend Mal besser wäre, dieses ganze Experiment bliebe Dir erspart. Selbst wenn man noch so sehr jenes Land als geeignet zur deutschen Colonisation befinden sollte, so will doch Niemand zugeben, daß Ihr Beide gerade die Colonisten sein müßtet: dies erscheint vielmehr als willkürlich, verzeih den Ausdruck, überdies als gefährlich, zumal für ein Lama, das an eine sanfte Cultur gewöhnt ist und in ihr auch am besten gedeiht und herumspringt. Diese ganze Erhitzung von Gefühlen, wie sie hinter der ganzen Geschichte als Ursachen liegen, ist eigentlich schon für ein Lama (genauer: für unsern eigentlichen Familien-„typp“, der seine Kunst im Versöhnen zwischen Contrasten hat) zu tropisch, nach meiner Meinung sogar nicht einmal gesund: man bleibt hübscher und jünger, wenn man nicht haßt und nicht argwöhnt —. Zuletzt will es mir immer scheinen, daß Deine Natur sich selbst für eine eigentlich deutschthümliche Bestrebung hier in Europa nützlicher erweisen könne als dort: gerade als Gattin des Dr. Förster, der, wie ich beim Lesen seines Erziehungs-Aufsatzes wieder einmal empfand, eigentlich zum Erziehungsdirektor einer Art Schnepfenthal eine natürliche Mission hat — und nicht, verzeihe es Deinem Bruder, zum Agitator in einer zu drei Viertel schlimmen und schmutzigen Bewegung. Was in Deutschland jetzt dringend noththut, sind eben unabhängige Erziehungsanstalten, welche der Staats-Sklaven-Drillung sich durch die That entgegensetzen. Das Vertrauen, welches Dr. Förster bei dem norddeutschen Adel genießt, schiene mir ausreichend Bürgschaft dafür zu geben, daß eine solche Art Schnepfenthal oder Hofwyl (Du erinnerst Dich? der Ort, wo der alte Vischer gebildet war) unter seiner Leitung Glück machte. Aber dort drüben, unter Bauern, in der Nähe von unmöglich gewordenen vielleicht verbitterten und vergifteten Deutschen — genug, hier ist ein weites Feld zu Besorgnissen. Das dumme große Meer dazwischen! und bei jedem Orkane, von dem Meldung hierher kommt, ärgert sich Dein Bruder und fragt sich, wie um Alles in der Welt das Lama darauf gerathen ist, sich in ein solches Abenteuer zu stürzen. Ich nehme mich zusammen, so gut es geht, aber eine Melancholie sonder Gleichen wird alle Tage und besonders des Abends über mich Herr, — immer deshalb, weil das Lama davon läuft und ganz die Tradition Ihres Bruders aufgiebt. — Eben meldet mir der Hofkapellmeister in Carlsruhe (dem ich auf den Wunsch des armen K<öselitz> geschrieben hatte) meine Empfehlung („die Empfehlung eines von mir enthusiastisch verehrten Mannes“) erwecke bei ihm für das Werk das günstigste Vorurtheil; und indem ich mich von Herzen darüber freue, fällt mir ein, daß Ihr sagen werdet „es ist doch nur ein Jude!“ Das, meine ich, drückt es aus, wie das Lama herausgesprungen ist aus der Tradition des Bruders: — wir freuen uns nicht mehr über das Gleiche. — Inzwischen, es hilft nichts, das Leben ist ein Experiment, man mag thun, was man will, man zahlt es zu theuer: vorwärts, mein liebes altes Lama! Und tapferen Muth zu dem was beschlossen ist!
Dein F.