1886, Briefe 655–784
674. An Franziska Nietzsche in Naumburg
<Nizza,> Donnerstag. <25. Februar 1886>
Meine liebe liebe Mutter,
ich habe so Viel in dieser Zeit an Dich gedacht und dabei es kaum bemerkt, daß ich so Wenig an Dich geschrieben habe, Verzeihung! Ich bin jetzt gerade im Abschreiben, komme langsam, langsam von der Stelle und habe jedes Mal, wenn ich mir Ruhe gönne, es so satt, meine Augen irgendwie noch zu gebrauchen, daß ich darauf hin wahrscheinlich nach allen Seiten mich zum Briefschuldner mache. Trotzdem ist es, wie mir scheint, ein gutes Zeichen, mindestens von meinem Muthe, daß ich selber die Abschrift besorge: Du erinnerst Dich vielleicht, wie vor [3]4 Jahren in Naumburg diktirt wurde, und der Schreiber auch bezahlt wurde (1883) Es war eine schändliche Handschrift, wenn ich mich recht erinnere.
Von unsern Auswanderern habe ich noch zu guterletzt einen schönen goldnen Ring geschickt bekommen; es heißt darauf innewendig „denke in Liebe an B. und E.“ — das will ich denn von Herzen thun, obwohl ich gestehe, daß diese Verbindung „B. und E.“ meinem Gefühle immer noch manchen Zwang anthut. Ich bin mit Förster’s Art nicht gerade verwandt, von seinen Tendenzen nicht zu reden. Daß es zuletzt ein Glück ist, daß er fort ist, gerade noch vor „Thorschluß“ —, darin hast Du, wie ich meine, sehr Recht; die Gefahr war ganz groß.
Hier sagt mir natürlich Jedermann: „mit der deutschen Regierung unzufrieden sein und sich der Regierung von Paraguay anzuvertrauen, die hundert Mal unsicherer und bedenklicher ist, das ist nicht gerade logisch“. Aber was kümmert diese Herrn die Logik! — Wenn nur unser armes Lama dabei nicht zu viel zu leiden hat! Ich fürchte immer, sie hat keine Ahnung davon, was sie erwartet.
Was hat diese ganze Geschichte Einem schon das Herz schwer gemacht!!
An Professor Rohde habe ich meine Glückwünsche geschrieben: ich danke Dir für Deine Mittheilung, über diese Angelegenheit. Am Schönsten wäre es, wenn ich seine ganze Einführung in Leipzig mit erleben könnte! —
Der gute Freund Köselitz ist immer noch in Deutschland und besorgt, für seinen kranken Vater, die Bürgermeister-Geschäfte von Annaberg. Der Hofkapellmeister von Carlsruhe, dem ich ein Paar Worte zur Empfehlung von K<öselitzen>s Oper schrieb (auf K<öselitzen>’s Wunsch: denn ich kenne ihn nicht persönlich) hat mir sehr artig zurück geschrieben: er lege den größten Werth auf meine Empfehlung „die Empfehlung eines von mir enthusiastisch verehrten Mannes“. Hoffen wir, daß es nicht nur bei guten Worten bleibt! — Komme ich nach Deutschland, so will ich dies Mal auch Herrn Widemann alle Ehre erweisen.
Das Bild, nach dem Du Dich erkundigst, ist von meiner alten Engländerin, mit der ich schon 2 Sommer im Engadin verbracht habe, hinzugerechnet, was hinzugehört, ihre Tochter Miss Emily Fynn und ihre Freundin die alte Excell. von Manshouroff vom russischen Hofe — mein „Trio“, mit dem ich herzlich befreundet bin. Sie sind jetzt wieder in Genf: wer weiß, ob es nicht möglich ist, sie noch für Nizza zu bestimmen! Mir fehlt so sehr ein Kreis, wo ich „wie zu Hause“ bin; es sind Menschen der Art. —
Seydlitzens haben mir viel Neigung und Treue bezeigt; gestern noch schrieb die gute Frau von S<eydlitz> (Irene) an mich, unter Anderem auch, daß sie für mich „auf der Suche nach einer guten Frau sei“. Dies hat mich sehr lachen machen. Sie wünscht zu wissen, wie viel Geld die bewußte „gute Frau“ haben müßte: als ob ich das wüßte! Dies, mein gutes Mutterchen, zu Deiner Ergötzung! Aber „unter uns“!
Weißt Du nicht, wann Heinze’s nach Nizza kommen wollen? Es werden überall die Vorbereitungen zum Carneval gemacht, der ungefähr den Monat März einnimmt. Ich fürchte mich davor; an dem schlimmsten Tage werde ich nach Cannes gehn (fahren natürlich!) Der Winter hier ist nach meinen Begriffen ein schlechter Winter gewesen; trotzdem etwas Unschätzbares, wenn man an Naumburger Winter denkt.
Denke in Liebe an mich und schreibe mir wieder so hübsch, meine liebe gute Mutter
Dein F.