1886, Briefe 655–784
704. An Elisabeth Förster in Asuncion
Naumburg 31 Mai 1886.
Mein liebes Lama,
Alles, fast Alles, was Du mir gemeldet hast, klingt muthig und lustig: so daß ich meine Geburtstagswünsche dies Mal sehr abkürzen kann (wozu mich andererseits die Augen zwingen), — bleibe so, wie Du bist, muthig und lustig, und „laß Dich nicht aus der Fassung bringen“! Letzteres nämlich ist unsre Devise hierselbst, welche ich jeden Tag unsrer Mutter einige Dutzend Male bei möglichen oder unmöglichen Anlässen zurufe oder mir zurufen lasse. Wozu, wie Dir wohl schon mitgetheilt worden ist, in meinem Falle reichlich Anlaß vorhanden ist. Die Verlegernoth dauert nunmehr schon 3 Monate und ist auf dieselbe kostspielige, aber freiherrliche Manier endlich von mir abgeschüttelt worden, wie voriges Jahr. Von Venedig bin ich noch zur rechten Zeit losgekommen, inzwischen ist die Cholera dort in Blüthe getreten, und durch Land- und See-Quarantänen umzingelt. Wir hatten einen Hundtag-Hitz-Anfall im Mai, der mir wieder zu verstehen gab, wie es Dir wohl zu Muthe sein mag: aber es scheint mir, daß Du leichter Hitze erträgst als ich, — und wahrscheinlich ist Eure Luft nicht so dicklicht wie die Naumburger. Von Seydlitzens gute und liebevolle Briefe; zuletzt aus Berlin, wo der Japonisme triumphiren soll. Rohde habe ich in Leipzig im Colleg gehört: auch da aber sagte ich mir schließlich „ich tausche heute mit Niemandem mehr“. — Und Leipzig ist keine Zufluchts- und Ausruhestätte für mich, — so viel ist klar. Eher schon München: obwohl es erst zu probiren ist. — Um Nizza und Sils-Maria werde ich nicht herumkommen: die Zwischenakte, wo mir vor Allem menschlicher Verkehr noththut, als Kur, müssen noch erfunden werden.
So viel von mir, mein liebes liebes Lama! Deine Mittheilungen über alte Freunde, die den artigen Umweg über Paraguay gemacht haben, waren sehr dankenswerth. Ich denke, daß der tägliche Morgen-Genuß von Maté, welchem ich mich hier ergeben habe, ein gutes Anzeichen dafür ist, wie viel ich an Dich gedacht, auch wie gern ich von Dir gehört habe. Meinem trefflichen Schwager die wärmsten Grüße: ein Briefchen an ihn von Nizza aus wird schwerlich angelangt sein?
In getreuer Bruderliebe
Dein F.