1886, Briefe 655–784
750. An Franziska Nietzsche in Naumburg (Fragment)
<Sils-Maria> 19 Sept 1886.
[+ + +] diese „Vorkämpferin für Frauenrechte“ mit einer andren „Vorkämpferin“ bekannt zu machen, die meine Tischnachbarin ist, Miss Helen Zimmern, etwas sehr Gescheutes, (sie hat die Engländer mit Schopenhauer bekannt gemacht) übrigens nicht Engländerin, sondern — Jüdin. Der Himmel erbarme sich des europäischen Verstandes, wenn man den jüdischen Verstand davon abziehen wollte! Man erzählte mir von einem jungen Mathematiker in Pontresina, der vor Aufregung und Entzücken über mein letztes Buch ganz die Nachtruhe verloren habe; als ich genauer nachfragte, siehe, da war es auch wieder ein Jude (ein Deutscher läßt sich nicht so leicht im Schlafe stören —) Verzeihung für diese Scherze, meine gute Mutter! — Übrigens habe ich die Zusammenkunft mit Herrn Lanzky hintertrieben, ich bekam Angst, er möchte mich wieder so langweilen wie vor zwei Jahren. Vor Nizza fürchte ich mich, von wegen der eifersüchtigen alten Frauen, aber es wird doch nichts Anderes herauskommen. Nur daß ich vielleicht eine Zwischenstation in der Nähe von Genua mache. Hier geht der Rest der Gesellschaft in dieser Woche fort, ich also auch: da es nachher mit der Ernährung hapert. —
Ich bedarf sehr der Erholung: es ist schlimm, daß ich gar keine Menschen habe, die es verstünden, mich zu erholen.
Für Deine schöne Versprechung in Betreff eines Kistchens danke ich Dir herzlich: aber, wie gesagt, ich bin auf der Abreise. — Fritzschens Adresse ist: Leipzig, Königsstr. 6
Deine Nachrichten über unsre Südamerikaner haben etwas Beunruhigendes: es läuft auch da drüben, wie es scheint, auf die alte Nervenaufregung und Hetzerei hinaus? — Das Lama als Landwirthin, welche Butter und Milch verkauft! Nein, welche Komödie! —
Dein alter Sohn.
Adresse: Genova (Italia) poste restante.