1875, Briefe 412–495
464. An Gustav Krug in Bonn
Basel den 12 Juli 1875.
Ja, mein lieber Gustav, wenn mir’s nur nicht so schlecht gegangen wäre und schlecht gienge! Da würdest Du sogleich meinen herzlichsten Dank für die ganz überraschende Mittheilung empfangen haben. So bin ich aber seit Wochen in der Gewalt eines desperaten Magen- und Kopfleidens und aller Nachsicht sehr bedürftig.
Dein geistreicher Schlusssatz zeigt wieder, was Du für ein Musiker bist und wie Dir das verwegenste und freieste combinatorische und imitatorische Spiel gelingt. So was kann ich nicht, das weisst Du. Deshalb bin ich auch nicht Dein Critiker und Rathgeber. Hast Du nicht Lust, es vielleicht einmal mit dem Altenburger Musikdirektor Riemenschneider zu versuchen? Oder mit dem ausgezeichneten Quartettisten und Menschen Musikdirektor Alexander Ritter in Würzburg,* den Du ja kennst? Ich will nur Weniges vorschlagen. In Betreff der Harmonisirung des Hauptthemas bin ich vom Takt 9 an nicht ganz einverstanden. Was meinst Du zu diesem Basse

Bei Tact 16, 17, 18 bleibt mir noch ein Anstoss, mir ist als ob Du nicht mit vollem Athem auf die Höhe kämst. Mit dem C dur von Tact 16 nimmst Du Dir den Haupteffect von Tact 13 halb hinweg, das wäre schade! Ja nicht so! Aber es ist schwer hier zu rathen. Ich habe eine Menge Wendungen versucht, ohne rechtes Glück. Denke das Thema noch einmal durch, es kommt so viel darauf an!
Vortrefflich ist das „Sehr ruhig ¾ Takt“, mir persönlich näher stehend als die leidenschaftliche Reizbarkeit des Hauptthemas. Nämlich: wenn die eigentliche Leidenschaft losgeht, da thut es mir immer leid, dass man kein Orchester hat; ich bin nun einmal ein verunglückter Orchestrist. Übrigens ist der Übergang aus dem „Sehr ruhig“ in den 2/4 Takt nicht ganz gelungen, da wirst Du die Harmonien noch etwas schieben und drängen lassen müssen, vielleicht mit Halbirung der Melodie?
Famos sind die Schlusswendungen auf der vorletzten und letzten Seite, mit ihrer rhythmischen Mannichfaltigkeit.
Damit ist <es> nun bei mir aus. Verzeih, alter Freund. Es geht mir so, dass ich um Nachsicht bitten darf. Die Ärzte wollen, dass ich diesen Sommer nicht nach Bayreuth gehe.
Um so mehr möge über Deinem Hause der Segen der Gesundheit und überhaupt jeder Segen walten. Dies wünscht Dir von Herzen Dein alter Freund.
Mich Deiner anmuthigen allerliebsten Lebensgefährtin zu Gnaden empfehlend
immerdar Dein
Fridericus amicus.