1875, Briefe 412–495
463. An Carl von Gersdorff in Hohenheim
Basel 12 Juli 1875.
Nur einen kurzen Bericht, mein geliebter Freund. Nächsten Freitag, am ersten Tag unsrer Ferien, reise ich fort und zwar in ein kleines Schwarzwaldbad, genannt Steinabad, bei Bonndorf. Es dient eigens den Magenleidenden, hat eine dreifach modificirte Diät und einen erfahrnen alten Arzt. Da wollen wir alles hoffen, auch dass ich am Ende der Ferien noch nach Bayreuth kann. Kannst Du mich nicht auf ein paar Tage dort besuchen? Wie glücklich würde ich sein. Mir ist es, bei der grössten Vorsicht und Enthaltung, im Ganzen besser gegangen, die Chininkur dauert noch fort. Freundlichsten Dank für die Nachrichten aus Bayreuth. Eine Bemerkung! war nicht in den Worten von Frau W<agner>, die Du mir schriebst, etwas Kaltes? Doch ich kann mich täuschen und bin vielleicht jetzt ein zu empfindlicher oder auch falscher Wärmemesser. Einen Anlass habe ich nicht gegeben. Inzwischen hat sie einen Brief von mir bekommen. Sie wird den Kopf voll haben, die arme Frau! Wer ihr doch helfen könnte!
Meine Schwester ist seit einer Woche wieder in Naumburg, wo es viel vorzubereiten giebt, dass wir am Ende der Ferien hier unser neues Heimwesen gründen können. Ich bin über diese Wendung sehr glücklich und sehe mit viel Vertrauen in das Kommende. Mein schöner Entwurf für die nächsten 7 Jahre war nur möglich bei einer solchen Ordnung und Regelung meines Alltaglebens. Nun habe ich doch eine ganz vertraute hülfreiche Seele um mich. Nicht mit einem Wort habe ich sie überredet, sie hat sich ganz freiwillig entschlossen.
Mit Jakob B<urckhardt> bin ich wieder auf dem guten alten Fusse, er schüttete neulich sein Herz einmal aus, wir gingen ¾ Stunden im Kreuzgang auf und ab.
Ein herrlich gelungener Stich vom alten Vischer ist als Geschenk bei mir eingetroffen, das Werk von unserm ausgezeichneten Weber.
Hier tobt seit 3 Tagen das eidgenössische Sängerfest, mit vielen Tausenden und grosser Üppigkeit des Empfangs und Schmucks. Ich natürlich — odi profanum Männergesangs-vulgus et arceo.
Mit getreuestem Grusse
und dem innigen Wunsche Dich zu sehen und zu sprechen.
Dein
Freund F N.