1875, Briefe 412–495
461. An Carl von Gersdorff in Hohenheim
<Basel, 7. Juli 1875>
Hier, geliebter Freund, einen Brief von Fräulein v. M<eysenbug> an Dich, der an meine Adresse kam und ebenso einen an mich, zur völligen Instruction. Du theilst mir aus dem Deinen wohl gelegentlich mit, was in meinem etwa nicht steht. Ich freue mich ausserordentlich wieder von unserer treuen Freundin gehört zu haben, nach so langem Schweigen.
Habe Dank, Treuester, für Deinen Brief, ich entgegne sofort auf Eins. Wer kann Dir denn so bestimmt gesagt haben, dass mein Leiden Migräne sei? Von dieser Bestimmtheit weiss Immermann nichts, der mir selber sagte, er experimentire nun einmal auf Nerven, da das vorige Mittel nichts besserte; helfe dies nichts, würde etwas Neues versucht. Da es mir nun immer schlecht geht und zumal die Säurenbildung grässlich mich bedrängt, und alles, mit Ausnahme des zartesten Fleisches, sich in Säure verwandelt, so bin ich wenigstens bereits überzeugt, dass die Nervenhypothese falsch ist; der Kopfschmerz bei Migräne ist übrigens halbseitig, meiner nicht, wie Du weisst. Die Quälerei in und über beiden Augen ist gross. —
Gott helfe Immermann, dann wird er auch mir helfen. Inzwischen — dubito.
Romundt ist ein Querkopf, ich schickte ihm, um ihn etwas zu ergötzen, ein paar Pfund Thee und Baseler Leckerli nebst Büchern. Ich höre lange nichts, endlich kommt es heraus, dass er grossen Verdruss daran gehabt hat, weil er aus unbegreiflichen Schlüssen Frau Baumann als die Senderin betrachtet hat, seltsame Briefe geschrieben und die arme Frau in Verlegenheit gebracht hat. Dabei hatte ich einen Begleitbrief geschrieben. Es ist toll. „Es sei ein Unstern über der Kiste gewesen,“ schreibt er heute; dieser Unstern ist, scheint mir, sein eigner Querkopf.
Also von Rohde weisst Du? Der Arme!! Ich habe auf ein Mittel gesonnen, ihn etwas zu zerstreuen.
Mit Bayreuth bin ich fast Deiner Meinung. Es geht nicht, ich halte es nicht aus, davon zu bleiben. Warte nur ab, es soll schon noch etwas von mir erfunden werden.
Die besten Glückwünsche zu den Prädikaten, welche Dein Freund Rau Dir über Frl. G. mitgetheilt hat. Darauf hin würde ich an Deiner Stelle alles thun und bald, denn diese Eigenschaften sind die schätzenswerthesten und seltensten bei Frauen. Wenn Du Dich auf Rau verlassen kannst, so sage ich wirklich „was du thun willst, thue bald!“ —
Nun lache nur über meine Paränesen. Du siehst doch, dass ich das Weltverbessern noch nicht aufgebe, wenn ich an Dich denke. Der Muth hört nur bei mir mitunter auf, doch nur für kurze Zeit.
In aller Liebe und
Herzlichkeit der Deine.