1875, Briefe 412–495
455. An Erwin Rohde in Kiel
Basel Montag. <14. Juni 1875>
Ach mein armer geliebter Freund!
Was für eine Leidens Epistel hast Du mir geschrieben! Ich bin den ganzen Morgen wie betäubt und zerstreut. Dass Dich die Dämonen so anfassen! Und zugleich noch die alberne Tyche dazwischen ihre Finger hat! Könnte ich Dir nur irgend etwas von der Last abnehmen oder Dich auch nur ein wenig erheitern. Nun kommen wir nicht einmal den Sommer zusammen, denn über mir waltet jetzt der Arzt und verbietet mir Bayreuth. Ich soll auf den Gurnigel bei Thun und Schwefelwasser trinken. Mein Befinden ist sehr schlecht, seit dem letzten Briefe hatte ich einen harten Anfall. Es wird wohl so etwas wie ein Magengeschwür sein, was mich seit Jahren quält. Jetzt muss ich jeden Tag nüchtern zwei Esslöffel Höllensteinlösung innerlich einnehmen und nach einem genauen Plane des Arztes leben. Mit ziemlicher Anstrengung setze ich meine Vorlesungen fort. Ich habe bereits eine Wohnung gemiethet, wo ich vom August ab mit meiner Schwester zusammen wohnen werde.
Ich kann nicht sagen, wie mich die Dorpater Geschichte verdriesst. Hast Du nicht irgend einen Wunsch, den ich erfüllen könnte?
In Betreff des Sommeraufenthalts der Hamburger Familie weiss ich sehr zu empfehlen
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„Hôtel Segnes, Waldhäuser bei Flims in Graubünden“, womöglich mit Berufung auf meinen Namen. (c. 4000 Fuß hoch)
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„Luftkurort Wiesen (Graubünden), Kurhaus Bellevue“
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„Bergün in Graubünden, Hôtel Piz Aëla“
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„Hôtel Tellsplatte bei Flüelen, an der Axenstraße.“
Doch heute nichts mehr. In herzlicher
Freundschaft
leidend und mitleidend
Dein Bruder.