1875, Briefe 412–495
454. An Franziska Nietzsche in Naumburg
Basel den 10 Juni 1875.
Nur ein ganz kleines Briefchen, meine gute Mutter, da ein langes jetzt nicht in meiner Macht steht, nämlich der Augen wegen. Ich bin seit einigen Tagen durch einen recht harten Anfall meines Magenleidens heimgesucht; da nimmt denn Kopf und Augen sein ehrlich Theil. Es ist allmählich so schlimm mit diesem chronischen, nun schon vierjährigen Magenkatarrh geworden, so gefährlich und so zeitraubend (denn ich verliere fast wöchentlich immer zwei Tage), daß ich und die Ärzte mit mir nur noch in einer ganz consequenten Diät Hülfe sehen; so wie mir diese vorgeschrieben ist, kann ich sie aber nur in einem eignen Hauswesen durchführen.
Unsere Entschließung, von der Dir meine hülfreiche Lisbeth geschrieben hat, ist deshalb ein Resultat der Noth, es geht eben nicht mehr anders. Im andern Falle wäre ich gezwungen, meine Professur in kürzester Zeit aufzugeben. Nun scheint mir, daß Lisbeth hier sich sehr nützlich machen kann, daß sie vieles lernt; überdieß gefällt sie sich hier gut und hat mehr Bekannte als in Naumburg. Selbst die Möglichkeit an der Dir immer so viel liegt, daß sie sich verheirathe, ist hier doch wirklich größer (im Vertrauen gesprochen) als etwa in Naumburg. Freilich entziehe ich Dir nun unsre Lisbeth, aber sehen werden wir uns oft, nur daß es jetzt wohl mehr in Basel als in Naumburg sein wird.
Alles Nähere wird Dir Lisbeth schreiben; mir geht es noch zu schlecht. Mit den herzlichsten Grüßen
Dein Sohn
Fritz.