1875, Briefe 412–495
448. An Franz Overbeck in Karlsbad
Basel Freitag nach Pfingsten 1875. <21. Mai>
Deinen Brief, lieber Freund, fand ich bei der Rückkehr von Baden-Baden vor, wo ich meine Schwester in Empfang nahm; ich danke Dir herzlich dafür, wie ich überhaupt immer mit einem stillen Dankgefühl in Deinem Zimmer sitze; wie zum Beispiel jetzt. Frau Baumgartner empfieng uns am Bahnhof, und wer war in der Baumannshöhle, als wir an sie herankamen? Adolf B<aumgartner>, von Bonn auf zweimal vierundzwanzig Stunden durchgebrannt. Hoffentlich ist es ihm nicht übel bekommen. Unsre häusliche Einrichtung ist sehr glücklich; da das Semester sich hart anlässt, und alle Vorlesungen von mir gelesen werden, auch das Pädagogium viel Mühe macht, so wird das Zimmer, in dem Deine Arbeitsamkeit blüht, wenigstens nicht durch Faulheit entweiht, denn ich bin Tag für Tag von 5 an bis 12 in Arbeit, und die Nachmittage sind dann durch Stunden und Collegien ausgefüllt oder richtiger in lauter Fetzen zerrissen, mit denen ich nicht viel anfangen kann. (13 Stunden!) Zustand des Magens und der Augen sehr bedenklich! Gestern war ich ganz unfähig und habe nicht einmal Wagner zum Geburtstage schreiben können. Meine Schwester thats für mich. —
Ich besitze durch Frau Wagner ein herrliches Bronze-Medaillon Wagner’s; damit Du etwas von ihr hörst, lege ich ihren Brief bei. Ebenfalls Schmeitzner’s, über den du Deine Gedanken haben wirst. Ich möchte Schm. vorschlagen, da er einmal die indischen Studien fördern will, eine Bibliothek von guten Übersetzungen indischer Werke, zumal der philosophischen, zu begründen und habe zB. an Windisch und Deussen gedacht. An meiner Unzeitgem. Nr. 4 habe ich kein Wort geschrieben, kann es nicht und werde es nicht. Vielleicht Ende des Semesters.
In Baden-Baden stolperte ich beinahe über die Kaiserin und benahm mich respectlos. Ass sehr behaglich bei Richard Pohl’s zu Mittag. Wir haben hier jedenfalls schon 184 Studenten, die Freude ist gross. Heute war ich mit Jacob Burckhardt zusammen, er sah vortrefflich aus, hatte Hillebrand kennen gelernt und erzählte dass er scill. Hillebr. einen Schatz scil. eine Braut vel hoc genus omne in Florenz habe.
Über die Carlsbader Badelitteratur siehe den bezüglichen Artikel in den letzten Nummern der Augsburger Zeitung!
Und nun, mein lieber Freund stehe auf, nimm Dein Leberli und wandle!
Meine Schwester und ich, wir grüssen den Leidenden-Glücklichen auf das herzlichste.
Schicke mir Schm<eitzner>’s Brief doch zurück, ich muss ihm bald antworten.