1875, Briefe 412–495
424. An Malwida von Meysenbug in Rom
Basel den 7 Februar 1875.
Verehrteste Freundin
heute giebt es eine Bitte oder wenigstens eine Anfrage. Inzwischen nämlich ist meine Schrift über Schopenhauer, an der Sie eine so rührende und mich geradezu beschämende Freude gehabt haben, ins Französische übersetzt worden. Es hat sich in den letzten Jahren ein junger Mann, Adolf Baumgartner, sehr an mich angeschlossen, und in ihm habe ich, wie ich hoffe, einen der Unserigen heran erzogen — Sie glauben nicht, wie gute Hoffnungen ich habe. Also, dessen Mutter, Marie Baumgartner-Köchlin, ist die Übersetzerin; auch sie hat sich immer mehr unsern Ansichten genähert (sie ist beiläufig eine dankbare Leserin gewisser idealistischer Memoiren und überhaupt eine treffliche und erfahrene Frau, mit einem wackeren Deutschen als Gatten und voll der unglaublichsten Liebe für ihren Adolf) Die Familie ist eine elsassische, Frau Baumgartner kämpfte in Sonnetten und Schriften gegen die Annexion. Nun suchen wir einen Pariser Verleger und fragen bei Ihnen an, ob nicht vielleicht durch Herrn Monod hier geholfen werden könnte.
Die Übersetzung ist sehr gut und geschickt, von mir in Betreff des Gedankens revidirt; wir haben die Hoffnung, dass Frau Wagner sie einmal durchlesen wird, bevor sie in die Druckerei wandert.
Der Titel wäre „Arthur Schopenhauer“. Ich sollte denken, es müsste für Franzosen mancherlei darin stehen, was sie nöthigte einmal aufzuhorchen.
Wenn Sie, verehrtestes Fräulein, ein Wörtchen davon in einem Brief an Frau Olga sagen wollten — wie dankbar wäre ich Ihnen! —
Wissen Sie bereits, dass seit gestern meine Schwester in Bayreuth ist, auf besonderen Wunsch von Frau Wagner, welche nächstens mit Wagner nach Wien und Pesth zu Concerten reist und während dem eine Stellvertreterin nöthig hatte. Meine Schwester ist sehr glücklich, einen Dienst hier leisten zu dürfen, aber sehr beklommen darüber, ob sie ihn wirklich leisten kann. Genug, ich meine, es ist eine hohe Schule für sie und die schönste Vorbereitung für die Bayreuther Sommerfeste, deren Gast wir beide sein werden. Diese beiden Jahre sind für mich geweiht — ich weiss nicht, wodurch ich verdient habe, sie zu erleben.
Ich brüte an einigem Neuen und habe immer, bevor ich bis zu einem bestimmten Punkte bin, rechte Angst, wie vor böser Zauberei und dem Unsegen und Mehlthau feindseliger Mächte. Schicken Sie mir Ihren Segen, ich bitte Sie darum.
Einen ausgezeichneten Brief von Frl. Mathilde Mayer aus Mainz, als Antwort auf den „Schopenhauer“ wollte ich auch noch erwähnen. Dagegen ist Frau Guerrieri in Florenz diesmal nicht zufrieden, sondern durch meine letzte Schrift fast „rebellisch“ geworden, wie sie selbst sagt, findet alles viel zu „polemisch“ und bezweifelt den ganzen Weg, den ich gehe. Ja, was weiss ich von meinem „Weg“! Ich gehe ihn, weil ich es sonst gar nicht aushalten könnte und habe also keinen Grund, mir über ihn Zweifel und Bedenken zu machen. Es geht mir in summa ja eigentlich besser als allen meinen Mitmenschen, seit ich auf diesem Wege bin, über den zwei Sonnen Wagner und Schopenhauer leuchten und ein ganzer griechischer Himmel sich ausspannt. —
Bewahren Sie mir Ihre Liebe und nehmen Sie meine herzlichsten Wünsche für Ihr Wohl an.
Ihr ergebenster und
getreuer
Friedrich Nietzsche.