1875, Briefe 412–495
443. An Carl von Gersdorff in Hohenheim
<Basel,> 8 Mai 1875.
Die Antwort auf Nr. 3 voran, liebster Freund!
Ich sprach heute mit Miaskowski und fand ihn in dieser Angelegenheit durchaus nicht ablehnend; er überlegt sich die Sache gründlich und ich glaube zu verstehen, weshalb sie ihm im Grunde ganz förderlich erscheint. Er will sehr gern ins „Reich“ zurück und möchte ebenfalls sehr gern viel Schüler haben, da er ein passionirter Lehrer ist, drittens hat er hier nicht viel Gehalt und das Leben ist theuer (ich meine er hat 4000—4500 frs.) Endlich hat er gerade eine spezielle Neigung für die landwirthschaftlichen Fragen seiner Disciplin und glaubt deshalb schon an einer Akademie wie der von Hohenheim an seinem Platze zu sein. Er wünscht nun vor allem in einem Briefe des Directors eine nähere Auskunft: über die Vorlesungen, die man von ihm verlangt, über die Schülerzahl, ob das Fach obligatorisch ist, über die wöchentliche Stundenzahl, über den Gehalt und etwaige Accessorien desselben, über die Wohnung und deren Umfang und so weiter. Er ist vielleicht dazu bereit, Pfingsten einen Besuch in Hohenheim zu machen; jedenfalls bitte Dr von Rau, dass er jetzt bald sich brieflich an M. wendet. Das Vorstadium der Angelegenheit ist ganz gut erledigt. Übrigens: im Vertrauen gesagt. M. hat mir freiwillig versprochen von der Sache hier durchaus keinen Gebrauch, etwa zu einer Gehaltserhöhung zu machen. Man hat mit einem anständigen Menschen zu thun. — Nicht wahr, im Herbst Antritt der Stelle? Ist eine gewisse Steigerung der 1900 Gld möglich oder nicht? Doch, wie gesagt, das Weitere geht uns nichts an, das mögen die Betheiligten unter sich ausmachen.
Übrigens ist es toll, liebster Freund, dass Du nun gar noch Professoren berufst und dass ich solche ins „Reich“ hinüber lootsen muss. Es war viel Hohngelächter in mir, als ich die Mission ausführte.
Nun zur Nr. 2, den ich zusammen mit Nr. 1 bekam. Ich war nämlich verreist, auf 8 Tage, weil die Maschine gar nicht mehr in Gang zu bringen war und ich zum zweiten Male wie nach Romundts Weggang zu Bett liegen musste. Da nahm ich mir den elenden Rest meiner Ferien zwischen die Beine und trabte fort. In Bern wohnte ich, als einziger Gast, in dem schönen Hôtel Victoria auf dem Schänzli und lief von dort aus auf Bergen und in Wäldern herum, immer allein und dachte mir viel aus. Oft genug kamst du vor, und in allen meinen Zukunfts-Plänen, die immer mehr auf das Erzieherische hinaus wollen, bist Du gar nicht mehr zu entbehren. Auch die Frage von Mann und Weib habe ich viel überlegt und möchte jetzt Dir auch zur allergrössten Vorsicht rathen. Es ist furchtbar, wie die Männer, an ein inferiores Geschöpf gebunden, herunterkommen, und mitunter kommt es mir so vor als ob wir bessere Aufgaben hätten als dem ganzen Ehe-capitel unsre Aufmerksamkeit zu schenken. Mündlich im Sommer viel mehr darüber, ich bin jetzt mit Gründen und Erwägungen vollgestopft.
Ich habe die Tücke in „über Land und Meer“ wohl gefühlt; dieser Schmierer hatte übrigens Schopenhauer nicht einmal selber in die Hand genommen, sondern nur die Stellen aus der Vorrede von der Leopardi-Übersetzung, die Brandes gemacht hat, abgeschrieben. In der Westminster-Review ist ein grösserer Aufsatz über meine 3 ersten Unzeitgemässen, höre ich, er soll ziemlich wüthend sein. Doch freut’s mich, dass Engländer mich lesen. Von Hillebrand ist erschienen: „Zeiten Völker und Menschen“, darin sind auch seine Aufsätze über mich mit abgedruckt. Mit der vierten Unzeitgem. steht es noch schlecht: zwar habe ich ungefähr 40 Seiten mehr von solcherlei Notizen, wie du sie zusammen geschrieben hast. Aber Fluss und Guss und Muth fehlt noch fürs Ganze. Inzwischen habe ich das Sommer-Halbjahr angefangen, das mir viel lästiger ist, der Augen wegen, die mich öfter schmerzen. Ich stehe nach 5 Uhr auf, das thut mir wohl. Übermorgen reist Overbeck ab; er grüsst dich von Herzen und wird gerne thun, was Du wünschest, auch dir für eine Karte an Frau von G<ustedt> sehr dankbar sein. Romundt hat geschrieben, bis jetzt noch ohne Amt. Auch Rohde, dem man zu einem Rufe nach Dorpat gewinkt hat, doch meint er, es werde nichts daraus. — Heinze ist weiss Gott schon wieder von Königsberg fortberufen und geht nach Leipzig, im Herbst. In Naumburg ist Pinder’s Vater gestorben; traurig. Pinder Sohn erwartet ein Kind für diesen Sommer. —
Im Jahrbuch des Schweizer. Alpenclubs 1864 fand ich eine Reisebeschreibung über den Piz Morteratsch; bei Öffnung der Flasche im Steinmann auf der Spitze ergab sich, dass dieser Berg das dritte Mal bestiegen worden ist „von Ernst von Gersdorff aus Berlin mit den Führern Ambüel und Walther.“ Im gleichen Bande steht ein ganz ausserordentlicher Aufsatz von Rütimeyer „die Bevölkerung der Alpen“, vom höchsten Interesse: von demselben Gelehrten empfehle ich noch (vielleicht sind beide Schriften etwas für Deinen Vater, zu einem Geschenk für ihn) „Vom Meer bis nach den Alpen“ Bern 1854. Dalpsche Buchhandlung.
Und damit sei es genug. Mein guter lieber Freund, ich möchte, wir lebten bei einander, da wir’s erprobt haben, wie gut es geht. (Es geht mit wenig Menschen, selbst mit vielen Freunden nicht!)
Ich habe einige Blicke in die Abgründe und blauen Seefluthen der „Götterdämmerung“ gethan, immer im Stillen noch etwas aus Bayreuth erhoffend.
Dein ganz Getreuer
Friedrich N.
Ich sah Burckhardt noch nicht, nächstens über Stuart Auskunft. Ich dächte, es sei ein gut berühmtes Werk.
Lies einmal die Augsburger Zeitung über das Berliner-Concert W<agner>’s (Freitagnummer, gestern) „Der Grössten Einer!“ Hat sich der Ton verändert!