1885, Briefe 568–654
611. An Elisabeth Förster in Tautenburg
Sils-Maria 5. Juli 1885. (Montag.)
Mein liebes Lama
zuletzt nämlich bleibt mir das Vorrecht, Dich so zu benamsen, denn ich höre, daß Dein Gatte Dich anders anredet (allerdings ebenfalls hebräisch, was mich bei einem alten Antisemiten wunder nimmt: Eli bedeutet „mein Gott“ und wahrscheinlich, im besonderen Falle „meine Göttin!“) Genug, ich wünsche von ganzem Herzen, daß Dich die Menschen auch fürderhin mit hübschen Namen anreden, sei es nun deutsch oder hebräisch oder paragyaisch: ebenfalls „daß es Dir wohlgehe und Du lange lebest auf Erden“: nämlich alle, welche mir bisher bekannt worden sind als Colonisten Südamerika’s (ich lebte in Rapallo und S. Margherita unter solchen), waren dort reich geworden und hatten nicht nur ihr „Schäfchen“, sondern ein tüchtiges Schaf über’s Meer „in’s Trockne“ gebracht, nämlich in ihre alte genuesische Heimat. Nach diesen sehr weltlichen Wünschen blieben mir noch genug irdische, ja sogar ganz persönliche und geschwisterliche übrig: aber — es will mir Vieles nicht mehr über die Lippen, geschweige denn über eine solche verfluchte kritzliche Schreibefeder. Jedes geschriebene Wort ist vieldeutig, mißverständlich, eines Commentars durch Blicke und Händedrücke bedürftig. Wie viel Dummheiten macht man, wenn man schreibt, was man wünscht! Wie viel dumme Briefe habe ich schon geschrieben! Es lebe die Weisheit meiner Augen, welche mich immer mehr aus einem Schreibethier in ein Schweigethier verwandelt! —
Morgen geht Frau Röder fort, und ich bin wieder allein in dieser erbärmlichen Hütte, welche mir so wider den Geschmack geht, leider auch wider die Gesundheit. Vielleicht kommen die Züricher Mädchen, welche Du kennst, etwas zu dem Einsiedler herauf, nämlich Frl. Wildenow und Frl. Blum. Übrigens gelte ich, in den Studentinnen-Kreisen, als das „böse Thier“ — es scheint, daß eine gewisse Anspielung auf ein lärmmachendes und klatschendes Instrument geradezu bezaubernd gewirkt hat! Wenn Du übrigens vielleicht noch nach München kommen solltest, so sieh Dir zwei dort lebende Mädchen an, von welchen die treffliche Frau Röder mit Bewunderung redet: Frl. von Rantzau und Frl. von Alten — sie leben zusammen. (Dagegen ist die Abneigung gegen Frl. von Salis überall sehr stark, seltsamer Weise, nicht nur bei Frau R<öder> sondern auch bei Köselitz und Frl. von Schirnhofer, — mir selber war sie gar nicht so unsympathisch, vor allem, weil sie gute Manieren hochschätzt, und, wenn auch etwas schweizerisch-steif, selber übt: etwas, das in diesem Pöbel- und Bauern-Zeitalter mir mehr gilt als „Tugend“, „Geist“ und „Schönheit“.) Eine sehr leidende alte Engländerin, von der ich wohl schon im Herbste erzählte, macht mir nach dieser Seite hin Vergnügen; und wenn Du irgend ein Wunderthier von Elégance des Geistes und der Gebärden noch entdeckst, meine liebe Schwester, so melde mir’s: Dein Bruder hat wenig Dinge übrig, die ihm noch Vergnügen machen.
Wie steht der Fall Schmeitzner? Es versteht sich, daß, sobald sein Geld „im Kasten klingt“, es auch zu Jedem springen soll, der etwas davon haben will: sage das, bitte, ausdrücklich unsrer lieben Mutter! — Und wie steht es mit Onkel Bernhard? — Für die Versprechungen auf der letzten Karte meinen besten Dank! — Mit der Gesundheit will es nicht von der Stelle, doch sagt man mir, daß ich besser aussehe als vor 4 Wochen. Milchdiät. Grüße mir meinen Herrn Schwager auf das Angelegenste und behaltet zusammen, wenn Ihr Euch lieb habt, mir irgend ein Winkelchen des Herzens vor!
In Liebe Dein Fritz.