1885, Briefe 568–654
596. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
Venezia (Italia), calle del ridotto, casa Fumagalli. <16. April 1885>
Meine liebe Mutter und Schwester,
in Venedig endlich angekommen, es ist kalt, ich fand nichts von Wohnungen, das nach meinen Wünschen ist, Magen durch diese klimatische Veränderung sehr außer Rand und Band, Augen umschleiert, wie ich’s noch nie im Leben gehabt habe. Genug, es muß Vieles besser werden. Andererseits gefällt mir die Musik meines maëstro so sehr, als nur möglich, nämlich mehr als alle andre Musik — und ich habe nicht mehr viel Dinge übrig, die mir gefallen.
Eben habe ich einen Brief an Herrn Dr. Förster abgeschickt, mit der einfachen Adresse Naumburg a/Saale; ich denke, er ist berühmt genug dazu, daß man nicht mehr nöthig hat.
Meine Wäsche — großer Jammer! Helft mir aus, und schnellstens, wenn es möglich ist! Also: ich habe noch 2 tragbare (ungefähr tragbare) Hemden, Alles Andre sind Lumpen.
Das zuletzt angefertigte Hemd ist im Halse etwas zu eng; das letzte Nachthemd ist zu kurz. Auch mit den Strümpfen steht’s böse.
Auch, bitte, 2 Paar Unterbeinkleider!
Über die Schmeitzner-Angelegenheit bin ich sehr erstaunt. Es kommt mir sehr zustatten, denn ich habe, weil ich diesen Winter keinen Verleger fand, trotz ernstlicher Bemühung, und weil dies Suchen endlich gegen meinen Stolz gieng, den vierten (und letzten) Theil Zarathustra auf eigne Kosten drucken lassen. Es ist übrigens gut so, dieser Theil ist noch weniger als die 3 ersten für die „Öffentlichkeit“; ich bitte darum, daß von der Existenz dieses Theils nicht gesprochen wird; aber ich freue mich, jetzt etwas zu haben, wodurch ich Menschen, welche sich um mich hübsch „verdient“ machen, eine Artigkeit erweisen kann. Die Exemplare sind bisher mir noch nicht ausgehändigt (im Ganzen nur 40) Vielleicht gebe ich C. G. Naumann in Leipzig Auftrag, den Bücher-Ballen nach Naumburg zu expediren: stellt ihn hübsch in eine Ecke und laßt ihn schimmeln!
Meine Sachen fangen erst an, etwas zu taugen, wenn ich selber erst schimmle.
Wozu ich hier in Venedig noch nicht präparirt bin. —
Da fällt mir ein: es giebt ja etwas auszudenken, als Geschenk für die Hochzeit des berühmten und vielgefeierten Lama. Aber hierzu müßt Ihr mich inspiriren, es muß etwas sein, das sie gern mit in ihre ferne neue Heimat nimmt.
In alter Liebe Euer
F.