1885, Briefe 568–654
601. An Carl von Gersdorff in Ostrichen
<Venedig, 9. Mai 1885>
Lieber alter Freund,
vor einigen Tagen habe ich ein Exemplar meines vierten und letzten Zarathustra an Dich auf die Post gegeben; hinterdrein beunruhigt mich die Vorstellung, daß das Kreuzband vielleicht nicht fest genug gewesen ist, und daß ich um keinen Preis ein Exemplar dieses ineditum in fremde Hände und unter falsche Augen gerathen lassen möchte. Sollte das Buch zur Stunde nicht eingetroffen sein, so thue, ich bitte Dich, Schritte bei der Post. Die Widmung des Exemplars an Dich steht auf der Titelblatt-seite außen: so daß eine Nachfrage Deinerseits Erfolg haben dürfte.
Das Zweite, was ich zu schreiben habe, ist die ganz unerwartet günstigere Gestaltung meines Prozesses contra Schmeitzner. Die Wahrscheinlichkeit ist in der That groß, daß ich, in zwei Monaten ungefähr, zu meinem Gelde komme; der Vater Sch<meitzner>’s ist als Bürge eingetragen u.s.w. In summa: daraus ergiebt sich die angenehme Möglichkeit, daß ich meinen Herrn Drucker in Leipzig selber bezahlen kann: ein etwas kostspieliger Scherz bleibt es, den ich mir nicht so leicht zum zweiten Male erlauben dürfte. Aber wie glücklich bin ich nun, etwas in den Händen zu haben, womit ich solchen Menschen, welche sich um mich „wohlverdient“ gemacht haben, auf meine Art eine Artigkeit erweisen kann! Zuletzt habe ich Dich noch zu bitten, mein lieber alter Freund Gersdorff, von diesem ineditum nicht zu sprechen. Overbeck bekommt ein Exemplar, ebenso Köselitz — ich habe Beide um dasselbe gebeten.
Ein schönes Motto aus einem alten Mysterium ist mir eingefallen:
„adventabat asinus
pulcher et fortissimus.“
Mit herzlichem Gruße, und in Betreff Deiner lieben Frau voll der aufrichtigsten Wünsche
Dein Freund
N.
Venezia, an der Rialtobrücke.
(Meine Adresse aber Venezia poste restante.)