1885, Briefe 568–654
573. An Heinrich Köselitz in Zürich
<Nizza, 14. Februar 1885>
Mein lieber Freund!
geben Sie mir und meiner herzlichen Neugierde so bald als möglich einen ausführlichen Bericht über Das, was Sie thun und wollen, und was in diesem Jahre geschehn soll. — Meine Augen wollen von mir, daß ich diesen Winter unartig-stumm gegen Jedermann bin — auch „gegen mich selber“ — um dunkel von dunklen Dingen zu reden. Ich sehne mich nach Ihrer Musik, erwäge tausend Mal, wie Sie selber hier anzusiedeln wären — und wie „Mistral“ und der unglaublich weiße Lichthimmel Nizza’s auf Sie wirken müßten. Mitunter geht meine Sehnsucht so weit, mich nach Venedig zu drängen, weil ich glaube, Sie leichter dorthin locken zu können als hierher. (Überdieß: ich bin Nizza’s — einer lärmend-widerlichen Franzosenstadt, im Grunde meiner Seele müde und weiß mir leider davon nicht zu helfen, da, bei genauestem Nachforschen, die klimatischen Bedingungen dieses Ortes sich nicht zum zweiten Male in Europa wiederholen wollen.
Im April komme ich (spätestens!) nach Zürich: wäre es möglich, da etwas von Ihrer Musik aufgeführt zu hören, etwas Vokalisches namentlich, so würde ich Vieles Dumme und Verdrießliche, das mir in diesem Jahre bei meiner Reise nach dem Norden bevorstehn mag, gerne dagegen in den Kauf nehmen! —
Bleiben Sie guter Dinge, alle Trübsal lohnt weder auf Erden, noch im Himmel. In Ihrem letzten Briefe waren ein Paar Worte bei Gelegenheit von H. Berlioz, bei denen ich Größtes Vergnügen hatte.
Overbeck schrieb mir des Genaueren über Ihr erstes öffentliches „Auftreten“. Oh daß ich Sie hier an der Spitze des italiänischen Orchesters (dirigirt von Gialdino—Gialdini) sehen könnte! es ist nämlich das neuerbaute italienische Theater eben eröffnet worden (Aida).
Grüßen Sie Freund und Hegar, die Studentinnen nicht zu vergessen!
— Wollen Sie diesen Sommer mich im Engadin (in dem kleinen Stübchen meiner braven Familie Durisch) vertreten? So lernen Sie mein Sils-Maria kennen: — ich selber muß nach Naumburg.
— Was ist aus dem Bruder von Fl. Druscowicz geworden? —
Unter uns gesagt: es giebt etwas Neues als „Frucht“ dieses Winters, aber ich habe keinen Verleger, vor allem aber gar keine Lust mehr daran, neue Dinge gedruckt zu sehn. Die ungeheuere Albernheit, so etwas wie meinen Zarath<ustra>) herauszugeben, ohne es nöthig zu haben, ist mir mit entsprechenden Albernheiten vergolten worden: wie es billig war.
Mittag und Ewigkeit
Von
Friedrich Nietzsche
Erster Theil: die Versuchung Zarathustra’s.
Übrigens vielleicht undruckbar: eine „Gotteslästerung“, gedichtet mit der Laune eines Hanswursts. — Wer aber hübsch gegen mich ist und mir mit Köselitzischer Musik schmeichelt, soll das Ding privatissime zu lesen bekomen.
Addio, und auf Wiedersehn
Ihr N.
Nizza, pension de Genève
(petite rue St. Etienne)