1872, Briefe 183–286
281a. An Unbekannt
<Basel, vermutlich kurz vor dem 20. Dezember 1872>
Geehrter Herr,
daß ich der freundlichen Einladung zu Ihrem Feste nicht entsprechen kann, da ich für Samstag und die nächsten Tage zu einer Reise genöthigt bin, bedaure ich um so mehr, als Ihr Verein ein eigentlicher Altersgenosse von mir ist und ich wohl Verlangen getragen hatte, mir ihn einmal, noch dazu bei so festlichem Anlasse, aus der Nähe anzusehen. Sie feiern da eine stattliche Reihe von Jahren, welche dem Verein Ehre macht und Vertrauen erweckt. Doch vertraue ich eigentlich mehr noch dem Geiste der Jugend, der in ihm wohnt und der, wie mir scheint, noch mehr die Aufgabe hat, das neue Gute zu beginnen, als das alte Gute zu bewahren. Sie dürfen glauben, dass ich einem Vereine, der von diesem Geiste der Jugend beseelt ist, immer eine aufrichtige Neigung schenken werde. Das Losungswort der Jugend hat aber Goethe gesprochen, als er ihr unablässig zu streben rieth
„uns vom Halben zu entwöhnen
und im Ganzen, Guten, Schönen
resolut zu leben.“
Ich bitte Sie, geehrter Herr, Ihren Verbindungsgenossen mein Bedauern über meine Absage ebensowohl als meine Wünsche für das glückliche Fortbestehen Ihres Vereins auszudrücken.
Ergebenst der Ihrige
Dr. Friedrich Nietzsche