1872, Briefe 183–286
215. An Gustav Krug in Naumburg
<Basel,> 2 Mai 72.
Mein lieber guter Freund,
es ist der Anfang des Semesters, die Arbeitsnoth ist groß, die Zeit fliegt wie Spinnweben im Herbst, also nimm mit ein paar geschäftlichen Zeilen fürlieb und betrachte mich einmal als Basler Handelsmann. Natürlich vertrösten wir uns auf Baireuth, natürlich erwarte ich Dich dort: und es stehen wirklich keine Schwierigkeiten im Wege. Ich bitte Dich nur, sofort an Hr. E. W. Fritzsch nach Leipzig zu schreiben und ihm einfach zu melden, daß Du die Baireuther Festfeier miterleben wolltest, als Mitglied seines Wagnervereins. Füge noch hinzu daß ich, Dein Freund, Hr. Fritzsch auch darum bäte, daß er für ein Logis in Baireuth Sorge trage.
Sollte irgend etwas mißlingen, so telegraphire nur an mich. Laß Dich aber keinesfalls abhalten zu kommen.
Wie danke ich Dir, mein Freund, für Deine Composition, die ich wirklich mit Staunen, als ein edles Kunstprodukt, studirt habe. Du hast eine Reinheit und Freiheit der Stimmenführung und ein sanft erregtes Pathos erreicht. Ich freue mich mit Dir darüber sprechen zu können. Von mir ist ein Gegenstück dazu fertig geworden, ein vierhändiges Stück des düstersten Pathos, lauter Beschwörungsformeln.
Sei herzlich gegrüßt!
Dein
Friedrich N.