1872, Briefe 183–286
275. An Gustav Krug in Naumburg
Basel 15 Nov. 72.
Mein lieber Gustav
Ein paar Zeilen Dir zu senden will ich am wenigsten versäumen, so mannichfaltig auch die Arbeits- und Gedankennoth des Augenblicks ist. Ich verspreche Dir, am morgendlichen Festtage Deiner in Wein und Bier und anderen geistigen Getränken glückwünschend zu gedenken und dabei das Geburtstagscarmen abzusingen, dessen trotzige Weise Du immer noch nicht kennst, so oft ich sie Dir schon mitzutheilen versprochen habe.
Also verlebe auch das nächste Jahr „Freunden zum Trost, Feinden jedoch zu ewigem Neide!“ Tauche gesund und mit einem Schwanenlied auf der Lippe aus den sumpfigen Untiefen des Examens wieder an’s Licht — ἀγαθῇ τύχῃ, alter Freund!
Deine Noten wirst Du nun hoffentlich wieder in Deinen Händen haben — es dauerte unverzeihlich und eigentlich unbegreiflich lange; ja, kürzlich fieng ich wieder an, sträflicher Weise, die Absendung recht zu bedauern, da ich in kurzer Zeit den achttägigen Besuch R. W<agner>’s und seiner Gemahlin in Basel empfange; bei welcher Gelegenheit gewiß auch das Quartett des Freundes erwähnt und angesehn worden wäre. — Jetzt hat sich Meister Liszt über meine „Musik“ hergemacht — das ist doch ein rechtes Curiosum!
Du hast doch wohl Rohdes Schrift gelesen? Und für ihre Verbreitung gewirkt? Ich will, daß mein guter Verleger wirklich einige Exemplare absetzt. Er ist so honnet, ich wünsche daß er auch davon etwas hat. —
Rohde zeigt sich so, wie ich es allen meinen Freunden wünsche, stolz und gut.
Gersdorff kommt im Januar hierher und geht dann nach Italien.
Der Freund Romundt hat sich hier mit viel Glück habilitirt und liest in diesem Winter drei verschiedene Collegien, darunter eins mit 20 Zuhörern.
Deussen hat bei einer reichen russischen Familie in Genf ein gutes Nest gefunden, in glänzender Situation (und beiläufig 5000 frcs Gehalt)
Kurz, es geht den Freunden gut und deshalb hoffe ich auch Deinerseits auf üppige Examenerfolge.
Weihnachten uns wieder zu sehen ist jedenfalls ein schöner Gedanke — und doch keine volle Unmöglichkeit. Ich sage vorläufig nicht mehr.
Also, bester Freund, gehen wir hoffnungsvoll vorwärts und treulich vereint, wie ehedem
Von Herzen Dein
Friedrich Nietzsche.
Was macht unser Wilhelm?