1872, Briefe 183–286
249. An Erwin Rohde in Kiel
<Basel, 2. August 1872>
Also fertig bist Du, mein liebster Freund? Dann vermuthe ich Dein Manuscript auch schon in den Händen des braven Fritzschii. Mit ihm ist alles aufs Beste abgemacht: von der Ausstattung und dem Honorario habe ich kein Wörtchen gesagt, ich denke wir vertrauen ihm und sagen gar nichts darüber.
Der Titel und sein Problem ist herzhaft hin und her erwogen worden, und alle, Overbeck, Romundt und ich, bleiben bei seiner völligen Unverfänglichkeit. Wir haben doch die so populäre Bildung Afterkunst usw. Wenn der zotiacus Wilamowitz noch eine aristophan. Interpretation, aus Schuldbewußtsein, herausspüren sollte, was gehen uns seine Würmer an? Doch bitte ich Dich, um Allem vorzubeugen, vielleicht schon auf der ersten Seite eine kurze Definition und Umschreibung des Wortes Afterphilologie zu geben; damit beruhigen wir die scabreusen Gewissen.
Nach München bin ich nicht gereist — Gersdorff konnte nicht kommen, er leidet sehr an einem Ohrübel. Allein mich unter dem Pack herumzudrehen, unter lauter leichtflüssiger Schmelzbutterbegeisterung — ist nicht recht schicklich — kurz — ich blieb hier und freue mich dessen.
Ich bin im Begriff die Bildungsvorträge umzuarbeiten. Sage mir doch ein Wörtchen darüber — denn Du mußt wissen daß ich gar kein Unheil über sie habe und mich gern belehren lasse.
Über meine letzte Composition, die ich in Bayreuth Euch vorspielte, habe ich mich endlich wahrhaft belehren lassen; der Brief Bülows ist für mich unschätzbar in seiner Ehrlichkeit, lies ihn, lache mich aus und glaube mir daß ich vor mir selbst in einen solchen Schrecken gerathen bin, um seitdem kein Klavier anrühren zu können.
Frl. von Meysenbug wird wahrscheinlich in nächster Zeit in die Schweiz kommen, und wir wollen etwas zusammen leben, an irgend einem hübschen Winkel. Es ist so ein mütterlich-liebevolles Wesen. Wir waren in München fast fortwährend mit ihr zusammen. Ich empfehle Dir zu lesen „Aus den Memoiren eines Russen“ von Alexander Herzen (dem Vater von Frl. Olga H.)
Deussen ist hier, ein paar Tage, gewesen. Sonderbar unangenehme Nachwirkung hinter sich lassend.
Brockhaus ist vom Herbst an Dein Collega in Kiel. Ein durch und durch ehrenwerther Mensch und sehr zu achten. — Von Freiburg weiß ich nichts, gar nichts. Wie würde ich die Combination Deiner Versetzung dorthin preisen! Aber ich kann gar nichts thun — Brambach wird wohl im Finstern schleichen. Ich habe Deinen Namen meinen Freiburger Bekannten oft und stark ins Gedächtniß gerufen. Aber — schicke doch Deine Wilamowitzschrift an Prof. Schönberg und Prof. Mendelsohn — ich bitte Dich.
Und nun, alter lieber Freund! Ich gratulire Dir zu den Ferien und wünsche nicht hinzufügen zu müssen, daß unsere zweite Hälfte des Sommersemesters noch bevorsteht.
Romundt grüßt Dich von Herzen. Ich habe ein paar Goethesche Briefe geschenkt bekommen, von dem 86jähr. Frl. Kestner (Lottens Tochter)
Ich lebe hier mit meiner Schwester guter Dinge und wünsche daß es Dir noch besser geht.
Dein getreuer
Fr. N.