1872, Briefe 183–286
205. An Wilhelm Pinder in Naumburg
Basel <25. März 1872>
Mein lieber Wilhelm,
Hier kommt noch ein Gratulant, der spätesten einer, der es schmerzlich bedauert, nicht zeitiger von der „vollendeten Thatsache“ unterrichtet worden zu sein, zu der er Dir erst heute seine Glückwünsche bringt. Wie oft habe ich im Januar und Februar dieses Jahres Deiner gedacht, in der Annahme, daß Du während dieser Zeit durch jenes bureaukratische Purgatorium hindurchmüßtest, von dessen Fegefeuer ich auch nicht einen Tropfen bis jetzt gespürt habe — das Einzige, was mir an mir selber mitunter „mythisch“ vorkommt.
Wenn Deine neue würdevolle Stellung ihren Namen vom „Sitzen“ führt, so rathe ich Dir doch allen Ernstes, dies ja nicht zu wörtlich zu nehmen: vielmehr mindestens Dein Amt als „Stellung“ und noch besser als „Wanderung“ zu betrachten: einmal Wanderung von einer Ehrenstaffel zur anderen, sodann als Wanderung zu Deinen Freunden und nach dem Süden. Nach dem Purgatorium mußt Du Dich an Dante wenden, um nun über den weiteren Weg belehrt zu werden: und diese Reise zu Dante führt Dich z. B. auch an mir vorbei.
Komme doch, mein alter Freund und gedenke Deines Versprechens, das Du Deinen Eltern und mir gegeben hast. Hänge jetzt nun einmal ordentlich Deinen Körper in der Sonne Italiens auf, nachdem Du Deinen Geist an der Sonne eines kaiserl. preußischen Ministeriums erlabt hast. Sei jetzt ein „Beisitzer“ der Schneeberge und wirf einmal Deine gesammelte Aktenstoß-vergangenheit in irgend ein wildes Gewässer; schick Dich jetzt an zum „Römerzug“ und genieße in Italien die Emolumente jener Preußen- und Deutschenverehrung, welche Lohengrin und Prinz Friedrich Karl dort verbreitet haben. Laß Dich an der Sonne bräunen und nachdem Du als bummelnder Lazzaroni Dir selbst ordentlich „beigestanden hast“ und „beigegangen“ bist, magst Du dann hinterdrein auch wieder „beisitzen“.
Beherzige diese Variation über das Thema „sitzen, stehen, gehen“ und höre den kategorischen Imperativ!
mille mille mille passus meabis!
Ich selbst bin nicht so „frei“ wie Du und muß die ganze Osternzeit als „verschrumpftes Schulmeisterlein“ in Basel bleiben. Wie gern hätte ich Euch, meine guten Naumburger Freunde wiedergesehen! Wie gern hätte ich Gustav für einen schönen Brief persönlich gedankt! Ach! Der Berg kommt nicht zu Muhamed! Also verehrtester Muhamed, komme zum Berge! Sela!
Dein
FN.