1872, Briefe 183–286
220. An Erwin Rohde in Kiel
Sonntag Basel. <12. Mai 1872>
Mein lieber Freund, nun Gott sei Dank, daß Du kommen willst. Bei der außerordentlichen Noth in Betreff der Plätze, des Logis usw. war es durchaus nöthig, schnell zu wissen ob Du kommen würdest. Das ist jetzt nun längst weiter gemeldet, nach der Fantaisie, wo jetzt meine Freunde hausen.
So sehen wir uns also wieder! Unsre Zusammenkünfte werden immer großartiger, immer historischer, nicht wahr?
Ich höre, daß die erste Probe am 19 t. sein wird, die zweite Montag, die dritte Dienstag.
Zwar bin ich etwas krank, im Besitz einer „Gürtelrose“ am Nacken: ich hoffe aber daß zwischen Hautaffektion und Gehirnfunktion zur rechten Zeit Friede geschlossen wird: denn ich muß nach Baireuth, trotz cingulum.
In den kurzen Osterruhemomenten ist auch eine pathetische vierhändige Musik entstanden: so daß jetzt zwei χορικὰ gleichsam das ἐπεισόδιον dieses Winters einrahmen. — Ich will Dir übrigens meine Wintervorträge mitbringen, durch die ich hier eine unverhältnißmäßige Erregung und Begeisterung, bes. bei den Studenten, hervorgerufen habe. Gedruckt werden sie nicht. Jetzt lese ich an der Universität Choephoren vor 6, vorplatonische Philosophen vor 10 Zuhörern. Es ist kläglich! Unsre werthen Fachgenossen sind recht still, in Betreff meiner Schrift: sie mucksen nicht einmal. Inzwischen brüte ich an ganz neuen Dingen, von denen Du hören sollst.
Wann willst Du in Baireuth eintreffen? Ich, wie schon gesagt, bin von Sonnabend morgen dort.
Ach, es ist wirklich unglaublich, was wir erleben! Und zusammen! Wenn ich mir dächte, daß wir in so wesentlichen Dingen uns nicht verstünden! Was würde mir fehlen! Wir wollen wieder dem Genius unserer Freundschaft opfern.
Adieu! Lieber Freund
FN.
Großer Tag! Wagnerconcert in Wien! Und — Tag der riforma federale in der Schweiz! Für selbige entweder Anfang vom Ende oder Ende vom Anfang.