1872, Briefe 183–286
191. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
Basel Mittwoch <24. Januar 1872>
Meine liebe Mutter und Schwester,
ich habe länger geschwiegen als ich wünschte. Das neue Jahr hat so mancherlei Abhaltungen und Thätigkeiten an mich herangebracht, daß ich heute förmlich ein Register machen muß, um nicht den Faden zu verlieren. Hast Du denn, liebe Lisbeth, das Register zum rheinischen Museum von Ritschl zugeschickt bekommen — unsre Hundearbeit von dazumalen? Was für Zeug habe ich doch schon gemacht! Und daß so etwas gerade zugleich mit meiner „Geburt der Trag.“ erscheinen muß — wie skurril und wie nachdenklich!
In Betreff meines Buches steht alles auf dem Kopf, glücklicherweise die meisten, von denen ich höre, vor Entzücken, andre vor Wuth. — Ja man muß einen Sohn und einen Bruder haben, die solche Sachen schreiben — dann lohnt sich’s, dächte ich, einen Bruder und einen Sohn zu haben. Nun, ich scherze — aber wie soll ich ernst von einem solchen Ereignisse reden, das durchaus nur mit Erschütterung begriffen werden kann!
Ich war in den ersten Wochen des neuen Jahres demnach und aus vielen Gründen erstaunlich angegriffen und hatte Angst vor einer Rückkehr des vorjährigen Zustandes. Ich wurde krank, mußte mediziniren und hatte Immermann als Arzt. Aber es ist alles überwunden. Die Weihnachtswoche war recht hübsch: einen sehr angenehmen Abend habe ich am Sylvester bei den alten Vischers verlebt. Erst war der allgemeine Akt der Bescheerung; ich bekam auch etwas, eine Copie von einem der schönen Gefäße des Hildesheimer Silberfundes (bei Bachofens bekam ich eine Tasse) Nachher habe ich mit der jungen Prof Vischer meine „Sylvesternachtklänge“ vorgespielt. Dem alten Vischer geht es recht gut, und er ist sehr heiter. Beim Souper haben wir übrigens auch Deiner, liebe Lisbeth, gedacht und Dich leben lassen.
Nun kamen andre Erlebnisse zB. ein großer Ball von 80 Personen bei Banquier Stähelin-Buckner. Dann mein erster Vortrag über die Zukunft der Bildungsanstalten mit außerordentl. Erfolg. Nächsten Dienstag spreche ich wieder, es wird voraussichtlich übervoll sein. Übrigens kommt für diesen nächsten Vortrag Richard Wagner mit seiner Frau nach Basel herüber. Ich war in den letzten Tagen wieder einmal in Tribschen — nun, Ihr würdet staunen, wenn Ihr wüßtet, wie freundschaftlich ich dort behandelt werde und was ich dort für ein Ansehn habe. Als ich von dort zurückkam, empfingen mich Deputationen, um mir anzukündigen daß die Studentenschaft mir die Ehre eines Fackelzuges erweisen wolle: ich hatte Mühe, diese Ehre abzulehnen. Ich habe nämlich einen Ruf an eine norddeutsche Universität gehabt (Greifswald) und sofort, ohne alle Verhandlungen schon nach der ersten Anfrage abgelehnt. Ihr könnt Euch die Freude des Vischerschen Hauses denken. Und Burckhardts. Übrigens hat man mir, ohne mein geringstes Dazuthun — denn in diesem Punkte bin ich recht kitzlich — meinen Gehalt zu erhöhen versprochen: ich habe jetzt 4000 frs.
Anbei sende ich ein ganz dummes Referat über meinen ersten Vortrag aus der Grenzpost — alles, alles ist falsch verstanden — das ist das Amüsante daran. Dann schickt Dir, liebe Lisbeth, der junge Prof. Vischer das Basler Neujahrsblatt, von ihm verfaßt. Morgen ist die Hochzeit bei Vischers: die Hochzeitsreise geht nach Rom usw. Dann folgt ein Exemplar meines Buches für Gustav Krug. Endlich ein schön gebundenes, welches Ihr mit einem hübschen Begleitbrief durch die Grimmenstein an die Großfürstin Constantin schicken sollt. Ich habe die fürstliche Briefstellerei satt; (das versteht unsre Mutter) ich hatte die schwere Aufgabe, mich mit dem König von Baiern zu befassen. Aber um eins bitte ich — sprecht mir in Eurem Briefe von meinem Buche mindestens mit dem gleichen Respekt, mit dem Ihr etwa von der fürstlichen Person selbst redet. Sonst bin ich wild. Es ist keine Devotion hier nöthig. Also Hurrah! Ich bitte Euch, macht’s schön!
Euer alter Fritz.