1872, Briefe 183–286
208. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Basel, kurz nach dem 15. April 1872>
Meine liebe Mutter und Schwester
schon lange bin ich Euch den herzlichsten Dank schuldig, für schöne ausführliche und theilnehmende Briefe und zuletzt noch durch die mich angenehm überraschende Sendung jenes photographischen Gruppenbildes. Letzteres scheint mir gut gelungen, freilich muß ich eine tüchtige Anzahl von Physionomien mit in den Kauf nehmen, um das Ganze als ein Bildniß unserer Lisbeth betrachten zu dürfen: außerdem sieht sie, durch ihre Stellung im Hintergrunde, noch kleiner aus als sie ist. Aber immerhin, im Gegensatz zu dem Luganeser Kunstwerk — ist es doch ein Fortschritt zum Besseren: weshalb ich mich sehr darüber freue. Ob man aber ein Lexikon mit photographieren darf oder, im Nothfall, nicht eben so gut ein anderes Buch, darüber wäre nachzudenken. Übrigens ist dieser Tage bei mir ein Exemplar des Index vom Rhein. Mus. für Dich, liebe Lisbeth, eingelaufen: was ich mir als Überraschung für Deinen Geburtstage verspare.
Mir ist es nicht gerade zum Besten in der letzten Zeit gegangen. Noch immer laborire ich an einem kräftigen Schnupfen. Derselbe verhinderte mich neulich einen Abend bei Laroche-Burckhardts zuzubringen. Heute dagegen bin ich bei Geizers zu Tisch und will es wagen. Die Ostertage selbst habe ich, wie Ihr richtig vermuthet habt, in Tribschen zugebracht: wo wir Ostereier versteckt haben usw. Am Mittwoch vor dem grünen Donnerstag hat mich Dr Hans von Bülow hier besucht, im höchsten Grade begeistert von meinem Buche: er hat mir die Dedikation eines von ihm in Italien verfaßten Buches angekündigt. Ich höre daß eine zweite Auflage meines Buches bald nöthig sein wird. Mein Verleger E. W. Fritzsch hat mir neulich Grüße von Reils aus Halle überschickt: wer ist das? — und mir zugleich eröffnet, daß er im engsten Sinne mein Landsmann ist, ein geborener Lützener. — Prof. Immermann, mein Nachbar (der Nachfolger von Liebermeister) war gefährlich an der Kopfrose erkrankt: jetzt geht es ihm besser. Vielleicht verreisen wir eine kurze Zeit mit einander, um uns Beide zu erholen: denn der Winter war für mich sehr wichtig und angreifend. Mein Buch, meine Vorträge, viele Berufsarbeiten viele Geselligkeit und zwei Compositionen zu 4 Händen — und alle möglichen Erlebnisse, Pläne und Entwürfe! Der Erfolg meiner Vorträge war übrigens außerordentlich — Ergriffenheit, Begeisterung und Haß — schön gepaart.
Prof. Schulz ist in den Ferien nach Rom gereist und liegt dort erkrankt an Gelenkrheumatismus. Mit Prof. Neumanns war ich neulich auf der Frohburg — und wir sahen wirklich die Alpenkette. Dann habe ich bei Stähelin-Vischers einen Abend verlebt. Auch bei Burckhardt-Heuslers. Andreas Heusler ist mit seiner Frau jetzt in Gersau, nach seinen Berichten geht alles recht gut. Vischer-Heuslers bauen sich nun auch ein Haus. Romundt ist in Rom. Er hat mir die Dedikation seines nächsten Buches angekündigt. Die Familie Vischer geht jetzt in den Ferien nach Baden in der Schweiz. — Hier herrscht unerhörte Wohnungsnoth.
Nun, heute habe ich doch einmal recht erzählt — da fällt mir aber noch ein, daß ich an Dich, liebe Lisbeth noch eine Bestellung zu machen habe. Du sollst mir nämlich ein paar bei Haverkamp verfertigte Kleidungsstücke mitbringen, (schon nach Bayreuth!) Erstens, meine liebe Mutter, bestelle mir doch bei dem ehrenwerthen Schneider einen Frack, einen rechten Musterfrack. Mein jetziger ist ganz verbraucht — Anstrengungen dieses Winters! Sodann noch eine helle graue elegante Hose für den Sommer.
mit der ich verbleibe
Euer getreuer Sohn,
„beziehentlich“ Bruder
Fritz.
Grüßt doch die Tante Riekchen, recht herzlich von mir. — An Wilhelm Pinder habe ich vor längerer Zeit gratulirend geschrieben. Sagt doch Gustav, daß ich eine 4 händige Composition eben vollendet habe, mit der ich recht zufrieden bin, eine Umarbeitung der ersten Seite meiner „Sylvesternacht“, und freilich auf 7 Seiten angewachsen. —
Dann noch eine schwarze, am besten sammtne Weste; zum Frack. Oder eine seidene. Die Maaße muß ja der Schneider noch haben. — Herr Gott, es fehlt mir auch an einem Sommerüberzieher, mein jetziger ist im 4 ten Sommer! und hat sich somit tapfer bewährt! Aber sieht jetzt elend aus!