1872, Briefe 183–286
277. An Erwin Rohde in Kiel
<Basel, 7. Dezember 1872>
Liebster Freund, wie geht’s? Nächstens hoffe ich Dir ein größeres photographisches Conterfei von mir schicken zu können, heute nur ein paar gute Grüße. Nicht wahr, inzwischen hast Du von Frau Wagner einen guten Brief erhalten? Ich habe gesehn, wie sie ihn vollendete — in Straßburg, wo wir nebeneinander, im Hotel ville de Paris, wohnten und wieder ordentlich nachgeholt haben, was man bei dem Auseinanderleben alles einbüßt. Von Dir war immer so die Rede als ob Du unter uns wärest, und die größte Offenheit war, in Hinsicht auf Dich, unter uns Regel und Nothwendigkeit. Soeben fragt sie bei mir brieflich an „Hören Sie von Prof. Rohde Gutes oder mindestens Erträgliches? Seit wir gemeinschaftlich sein Schicksal besprachen, geht mir das Brüten über Möglichkeiten nicht aus — die ewige Ohnmacht bei lebhafter Theilnahme ist ein schwer zu schleppendes Geschick!“ Eigentlich soll ich Dir Vieles noch erzählen, besonders über den außerordentlichen Eindruck, den W. und Frau von Deiner Schrift hatten (ebenso wie die Gräfin Muchanoff), wie Beide meinten, mit einem solchen polemischen Meisterstück könne man in Frankreich berühmt mit einem Schlage werden: die Deutschen seien dafür zu wenig „fein“. Doch ich weiß nicht, was Frau W. Dir bereits alles geschrieben hat. Wir haben mit einander manche ganz annehmbare Möglichkeit für Dein äußeres Geschick in’s Auge gefaßt zB. die Stellung eines Bibliothekars bei der italiänischen (und Wagnerschen) Kronprinzessin. Irgend wann kommt etwas von dem heraus, was wir als Nummer in die Lebenslotterie, zu Deinem Besten, gesetzt haben.
Theilnehmende Briefbemerkungen habe ich über Deine Schrift neuerdings von Frl von Meysenbug, von Gustav Krug, von meiner Mutter und besonders mehrfache von meiner Schwester erhalten. Mein hiesiger Buchhändler sagte, sie wäre stark begehrt und verkauft. Mein Buch ist thatsächlich in Leipzig vergriffen. Das Neueste ist daß Jacob Bernays erklärt hat, es seien seine Anschauungen, nur stark übertrieben. Ich finde das göttlich frech von diesem gebildeten und klugen Juden, zugleich aber als ein lustiges Zeichen, daß die „Schlauen im Lande“ doch bereits etwas Witterung haben. Die Juden sind überall und auch hier voran, während der gute teutsche Usener gutgehörnt dahinten, im Nebel bleibt.
In der florentinischen Gesellschaft liest man jetzt meine Bildungsvorträge — es scheint dort jetzt gerade eine große Regsamkeit in Reform-Plänen der Anstalten zu sein, und es ergötzt mich sehr zu denken daß mein Stimmchen mit unter dem italiänischen Chorus gehört wird. — Die gute Gräfin Diodati übersetzt kräftig darauf los, Gott und der französische Sprachgenius möge sie in Schutz nehmen, daß ich mich nicht gar zu solökisch ausnehme.
„Der Philosoph“ dh. mein ganz unausgebrütetes Gedanken-ei liegt jetzt mir einzig in den Sinnen, so bunt und suchenswerth wie ein schönes Osterei für gute Kinder. — Gersdorff giebt im December seine juristische Laufbahn auf und kommt, nach Italien durchreisend, im Januar nach Basel. Krug hat ein sehr schönes Quartett gemacht und mir übersandt: es ist schönste „Erinnerungsmusik“ nämlich wie ein Tag aus unserem gemeinsamen Knabentraumleben, sehr abendwolkenhaft. Weihnachten will ich nach Naumburg und dort mit Krug etwas Musik machen, auch die Sylvesternachtsklänge sollen ihren Affektionswerth behalten: was kann ich dafür daß die Musik schlecht ist! Manfred ist übrigens noch „töller“, und ich denke nie ohne Gelächter an die absurde Trommeleiscene in Bayreuth im Hause des bestürzt bewundernden und überfallenen Buchhändlers.
Kann man Dich denn nicht nach Heidelberg berufen? Ribbeck Windisch sind Dir doch sicher — und Köchly hat nicht allzu viel zu sagen. Ich kenne dort nur einen Menschen und das ist ein Weib, aber ein sehr gutes, die Mutter des Malers Feuerbach. Ich werde, da ich ihr eben zu schreiben habe (in Sachen eines von mir protegirten Jesuitenzöglings, der hier in Basel Medezin studiren soll) Deine Schrift mitschicken.
Laß Dir’s gut gehn, theuerster und lieber Freund, und sei muthig, wie ich es bin. Wagner’s haben mich so gesund und „resolut“ im Goethe-Mazzinischen Sinne gefunden und sich darüber sehr gefreut. Bringen wir’s erst dahin, einmal wieder zusammenleben zu können, so soll’s ein Heidenleben geben! Inzwischen lies doch des Grillparzeri vorletzten Band (der Gesammtausgabe), die Aesthetika betreffend: er ist fast immer einer der Unserigen!
In herzlichem Gedenken
Dein F N.