1872, Briefe 183–286
200. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Basel,> Mittwoch. 14 Febr. 72.
Meine liebe Mutter und Schwester, herzlichen Dank für Eure guten Nachrichten. Ich bin sehr erfreut, daß mir also doch die Ehre Eures Besuches für diesen Sommer zu Theil wird und denke öfterst über die dazu nöthigen Maßregeln nach. In Betreff der Zeit empfehle ich Folgendes. Zu Pfingsten bin ich in Baireuth, bei der dreifachen Festlichkeit an Wagners Geburtstag (22 Mai) dh. bei der Grundsteinlegung von W.’s Theater, von W’s Haus und bei der glänzendsten Aufführung der 9ten Symphonie am Abend. Wie wäre es nun, liebe Lisbeth, wenn Du dorthin kämst und mit mir etwa am Donnerstag nach Pfingsten, will sagen den 23 Mai nach Basel abführest. Der Vorschlag ist raffinirt genug. Wagner’s siedeln Anfang Mai nach Baireuth über, zunächst in ihre Sommerwohnung auf der Fantaisie. Zu dem verabredeten Tage treffen alle die guten Freunde in Baireuth ein, Gersdorff, Frau v. Schleinitz, Frau Muchanoff usw. Die Reise nach Baireuth wäre über Leipzig, Plauen ohne Umweg zu bewerkstelligen, über Augsburg Lindau geht es dann, auf nicht mehr ungewohnte Weise, nach Basel.
Eine große Calamität ist nun hier die Wohnungsfrage. Es wird mir von allen Seiten abgerathen, meine Wohnung aufzugeben, weil der Mangel ganz außerordentlich ist und fortwährend, bes. durch die Einwanderung der Elsasser, wächst. Ich sah mir ein Logis mit 4 Zimmern 2 Stock, Äschengraben, an, das den Räumlichkeiten nach für uns Beide gerade gepaßt hätte: der Preis wurde als sehr mäßig angesehn, 800 frs., freilich unmeublirt. Aber es war eben schon vermiethet. Brockhaus, der schon seine 4te Wohnung hat, wohnt schlechter als ich und zahlt monatlich 65 frs. Kurz, die Frage ist recht verzweifelt. An Hartmann’s sehr geringe Wohnung ist nicht zu denken. Nun, ich will mich schon bemühen: auch Frau Merian-Burckhardt bemüth sich. — Hier baut alles Häuser, auch Vischer-Heuslers haben’s beschlossen. Der vortreffliche College Immermann, dessen Frau sich sehr auf Deine Bekanntschaft freut, hat sich in meiner Nähe ein hübsches Haus für 40,000 frs. gekauft.
Was die Osterferien anbetrifft, so habe ich mich noch nicht entschieden. Eine meiner Absichten ist, in der französ. Schweiz französisch zu sprechen: das scheint mir recht vernünftig und nöthig. Doch zieht es mich auch sehr, zu Euch zu kommen.
Sehr unbequem ist mir, was Ihr in Betreff meines Buches verlangt. Wenn Ihr nur zwei Exemplare verschenken könnt, so rathe ich durchaus, keins zu verschenken. Denn es ist ganz unmöglich, ein gleiches Exemplar (wie an die Großfürstin) herzustellen: Ihr werdet bemerken, daß es ein Prachtexemplar mit allerstärkstem Papier ist: ich habe keins mehr: und es giebt keins mehr. Auch hatte ich nur an die Großfürstin gedacht, weil sie Wagner-enthousiastin ist. Ohne diesen Hintergrund hätte ich gar nicht an sie gedacht. Auch müßt Ihr wissen, daß das Verschicken und das Einbinden in Gold und Leder mich schon gegen 40 Thaler gekostet hat. Also würde ich Euch bitten, das Exemplar für Euch zu behalten und das Widmungsblatt ausschneiden und durch ein reines Blatt ersetzen zu lassen: gern will ich dann für Euch eine neue Widmung darauf schreiben. —
Für den Fall daß ich Ostern zu Euch käme, wäre es mir vielleicht möglich, der guten Therese ein anderes Exemplar (mit geringerem Papier und schön gebunden) persönlich zu überbringen: worauf man vielleicht vertrösten könnte. Im Übrigen bedenkt nur immer, ob das Buch, falls es wirklich gelesen wird, bei solchen unvorbereiteten Seelen vielleicht einen für Euch ganz unerwünschten Effekt hervorbringt.
In Rücksicht auf unsere Verwandtschaft bin ich am letzten ängstlich: diese müssen wissen, was ich will, und wenn sich zB. der Pastor Schenkel das Buch nicht anschaffen mag, so schickt es ihm in meinem Namen mit einem schönen Gruße zu. Um dasselbe bitte ich bei dem Vormund Dächsel. Laßt nur von Domrich zwei Exemplare holen: oder, noch besser, schreibe, liebe Lisbeth, an Herrn E. W. Fritzsch Verlagshandlung in Leipzig und bitte ihn, auf meine Rechnung und in meinem Namen 1 Exemplar an Schenkel, 1 an Dächsel zu schicken — und gieb genau die Addressen an, die ich nicht weiß.
Hier habe ich Einladungen bekommen und angenommen von Burckhardt-Heusler, Vischer-Sarasins, Thurneysens: gestern war der Ball bei Frau Bischoff-Fürstenberger: ich bin nicht hingegangen, wegen allzu großem Catarrh und Schnupfen.
Für den Monat März und April hatte ich eine sehr dringende und freundliche Einladung nach Griechenland (Athen, Creta Naxos) von einem Bekannten der sehr reich ist und gerne mit mir Zusammensein mochte. Ich habe ausgeschlagen, weil ich immer noch meine Vorträge bis Ende März „über die Bildungsanstalten“ zu halten habe: mit denen es mir Ernst ist. Vielleicht lacht Ihr darüber, wenn ich Euch sage, daß dieser Bekannte der Sohn von Felix Mendelsohn ist.
Hier ist mir mehrfach die Freude darüber bezeugt worden, daß Ihr wieder nach Basel kommen wollt. Diese nun auch meinerseits bezeugend
bin ich Euer Fritz.