1872, Briefe 183–286
242. An Gustav Krug in Naumburg
Basel 24 Juli 1872.
Mein lieber Gustav, diesmal trenne ich mich wirklich recht schwer von Deiner Musik, wie von etwas, was mir täglich lieber und sympathischer wurde und das man endlich nur mit Widerwillen der Post zum Lange-Nichtwiedersehen-Hören anvertraut. Verliebt habe ich mich in Deine Musik: nur möchte ich mehr Musiker sein, um sie noch unbehinderter schlürfen zu können. Mindestens wünschte ich mir ein recht schönes 4 händiges Arrangement, von einem Meister des Klaviers und der jetzigen Technik gemacht. Deine Musik trieft um biblisch zu reden, vom Oele der Anmuth und Wehmuth; wie komme ich mir dann immer vor mit meinen plumpen Geschichten und täppischen fortissimi’s mit tremoli’s, wenn ich Deine Stimmenführungen sehe, wie schöngeschuppte graziöse Schlangen, und Deine Contrapunktik studire! Wirklich mein lieber Freund, aus Dir braucht nichts zu werden: denn Du bist was geworden: ein tüchtiger Musiker, während unser eins sich mit „Dionysisch“ und „Apollinisch“ lächerlich macht. Wie unvergleichlich ist, gegen jedes Theoretisiren gehalten, jedes wirkliche Produziren! Sei aber zufrieden, bei der innerlichen Art Deiner Musik, daß Du einen sogenannten Beruf hast, der gar nichts „Dionysisches“ in sich trägt: denn es ist schädlich, so musikalisch schwermuthsvoll auf dem Bauche zu liegen, wie ein Bär auf seiner Bärenhaut, „alle sechs Tagewerke im Busen fühlen“, wie Faust sagt — ich wenigstens habe wieder einmal für 6 Jahre das Musikmachen verschworen. „Der Ozean warf mich wieder einmal an’s Land“, im vorigen Winter, nämlich auf die Sandbank der Dir bekannten Compositionen. Damit soll’s aber genug sein. Ich gerathe, wie diese Compos. beweisen, in wahrhaft skandaleuser Weise in’s Phantastisch-Häßliche, ins Ungeziemend-Ausschweifende. Und ich erwartete von Deiner Seite, einigen Schimpf und Schmach davon zu tragen. Solltest Du aber für Manfred eine wirkliche Art von Neigung haben, wie Dein Brief gütig genug war zu versichern, so warne ich Dich ganz ernsthaft, lieber Freund, vor Dieser meiner schlechten Musik. Laß keinen falschen Tropfen in Deine Musikempfindung kommen, am wenigsten aus der barbarisirenden Sphäre meiner Musik. Ich bin ohne Illusionen — jetzt wenigstens.
Verlange nur von mir nichts Kritisches — ich habe keinen guten Geschmack und bin, in meinen musikal. Kenntnissen, recht heruntergekommen, kann auch wie Du gesehn hast, gar nicht mehr orthographisch schreiben. — Ich bin jetzt nur soviel Musiker, als zu meinem philosophischen Hausgebrauche eben nöthig ist.
Die Rohdesche Anzeige ist Dir und Wilhelm von Tegernsee aus durch Gersdorff geschickt worden. In Bälde erscheint eine Gegenschrift gegen das philologische Pamphlet; hast Du den Wilamo-Wisch (oder Wilam Ohne witz?) gelesen? Welch übermüthig-jüdisch angekränkeltes Bürschchen! Es bekommt aber Prügelchen! Ist nicht zu hindern!
Natürlich habe ich mit dieser Züchtigung nichts zu thun. Denn ich muß nur durch Eins das schimpfende unzufriedene Pack widerlegen, ärgern und erzürnen — durch den wohlgemuthen Weitermarsch auf der vor mir erschlossenen Bahn. d. h. ich bin wieder produktiv gestimmt wie die Kater im Lenz.
Im Herbst komme ich wahrscheinlich nach Naumburg.
Ich wünsche Dir von Herzen Glück zu Deinen juristischen Absichten: so chaotisch mir wird, wenn ich an Euren Gesetzeswust denke, so siegreich tauche aus diesem Strudel empor — laufe Deine Bahn, lieber Freund, „freudig wie ein Held zum Siege“ (Bayreuther Angedenkens!)
Lebwohl! Lebwohl! Da fällt mir ein, Dir noch nicht gesagt zu haben, daß der Tristan nothwendig von Dir gehört werden muß. Es ist ein grenzenlos großartiges Werk und verleiht dem Menschen das höchste Glück, die höchste Erhabenheit, die höchste Reinheit. Mündlich mehr. Dein
F. N.