1872, Briefe 183–286
267. An Erwin Rohde in Kiel
<Basel, 27. Oktober 1872> Sonntag.
Hier, mein lieber Freund, schicke ich Dir einen herrlichen Brief W<agner>’s: er schrieb ihn mir, noch bevor er Dein Sendschreiben in den Händen hatte. Ich will von allem Guten, was mir zu Theil wird, Dich als Mit-Theilnehmer — und in diesem Falle, bei Wagnerschen Briefen, Dich ganz allein! Denn einen solchen Brief, wie den heutigen, zeige ich selbst Romundt und Overbeck nicht, so sehr ich sie liebe und ehre. Du wirst Muth und Kraft aus solchem Briefe athmen, mir geht es so.
Höchst originell und fast spaßhaft ist die allgemeine Perplexität in den Kreisen der musikalischen Meister über mich als Componisten: Bülows Brief kennst Du ja — nun kommt Liszt! und nennt Bülow’s Unheil „sehr desperat“.
Ich lese Deine „Apologie des Nicht-Sokrates“ immer noch als Morgenimbiß und Abendbrod; ein Exemplar lasse ich mir zusammen mit Deiner Anzeige in der Nordd. Allg. für meinen Prunktisch herrichten, recht üppig in Leder und Gold.
Daß nur Fritzsch die Schrift ordentlich anzeigt! Ich will, daß er im litterarischen Centralblatt sie inserirt: „Freunden zum Trost, Feinden jedoch zu ewigem Neide!“ Schreib ihm doch ein paar Worte über Centralblatt und Rhein. Mus. etwa, auch Hermes? Jedenfalls Augsburgerin! Dann möge er ein Exemplar an Leutsch schicken.
Machen wir uns auf einen lärmenden Skandal gefaßt und stecken wir Watte in unsere Ohren, aber die Watte der guten Denkungsart und des „guten Ruhekissens“, welches das gute Gewissen sich nennt.
Ich sehe mich immer staunend nach einem ähnlichen Vorfall um und finde keinen. Giebt es noch andre derartige „Freunde“, wie Du einer bist? Die „kritische“ Nachwelt wird behaupten, Du habest selbst die Geb. der Trag, geschrieben und mich nur als πρόφασις genommen, um nachher noch solche Anzeigen und Apologien zu schreiben! Aus dem Innersten heraus! Aber eben so aus dem Äußersten! Ich scheine Dir nur das Wort aus dem Munde genommen zu haben, und Du bist Freund genug, mir darüber nicht böse zu sein?
Kurz, es ist etwas Mirakelhaftes dabei: sehen wir zu, was unsere „Kritiker“ zu diesem „Monismus des Dualismus“ sagen werden.
In herzlicher Liebe
Dein F.