1872, Briefe 183–286
253. An Malwida von Meysenbug in Heidelberg
<Basel, 27. August 1872>Schützengraben 45.
Gnädigstes Fräulein, also mit Sonnabend ist alles in Ordnung: es kommt ein Zeilchen von Ihnen imperativisch bei mir an, und ich fliege auf den Bahnhof. Vielleicht darf ich auch im Verlaufe des Nachmittags ein paar Wege für Sie machen. Geben Sie mir doch, ich bitte Sie, einmal irgend eine Gelegenheit, etwas nützlich zu sein, nützlich im allernächsten und realsten Sinne!
Meine Schwester darf ich Ihnen doch aufzeigen? Sie bittet mich wenigstens sehr darum und möchte auch Fräulein Olga kennen lernen. Das Buch des Herrn Gabr. Monod ist mir übrigens gerade in diesen Tagen zu Gesicht gekommen; auch habe ich mehrfach darüber sprechen hören. Ich werde mich herzlich freuen, einen so unparteiisch gesinnten Mann persönlich zu sehen, der noch überdies den Vorzug hat, als Verlobter von Frl. Herzen auf das Schönste empfohlen zu sein.
Dass Sie die Übersetzerin von Herzen’s Memoiren sind, war mir ganz neu; ich bedaure Ihnen nicht schon, bevor ich dies wusste, meine Empfindung über den Werth dieser Übersetzung ausgedrückt zu haben. Ich war erstaunt über die Geschicklichkeit und Kraft des Ausdrucks und, geneigt bei Herzen jedes auszeichnende Talent vorauszusetzen hatte ich stillschweigend angenommen, er habe seine Memoiren selbst aus dem Russischen ins Deutsche übertragen. Meine Freunde sind von mir auf dies Werk aufmerksam gemacht; ich habe aus ihm gelernt, über eine Menge negativer Tendenzen viel sympathischer zu denken als ich bisjetzt vermochte: und selbst negativ sollte ich sie nicht nennen. Denn eine so edel-feurige und ausharrende Seele hätte sich nicht allein vom Verneinen und Hassen ernähren können.
Über Manches Andere hoffe ich jetzt mit Ihnen baldigst sprechen zu können: deshalb gestatte ich mir heute kurz zu schließen und mich Ihrer gütigen Theilnahme wiederholt anzuempfehlen.
Ihr treuergebener
Friedr Nietzsche.