1872, Briefe 183–286
204. An Ernst Wilhelm Fritzsch in Leipzig
Basel 22 März. <1872>
Hochgeachteter Herr,
in diesem Winter habe ich hier in Basel, im Auftrage der „akademischen Gesellschaft“, 6 öffentliche Vorträge gehalten, über dieses Thema: „über die Zunkunft unserer Bildungs-anstalten“. Ich hatte jedesmal ungefähr 300 Zuhörer: von den verschiedensten Seiten bin ich aufgefordert worden, diese Reden drucken zu lassen. Mir selbst aber liegt viel daran, daß sie gut und schön gedruckt werden.
“Wenn ich Ihnen dies Alles mittheile, so errathen Sie den Sinn meines Briefes. Nun weiß ich zwar, daß das Thema dieser meiner Vorträge noch etwas mehr von der Sphäre Ihres Verlags abliegt als „die Geburt der Tragödie.“ Jedenfalls möchte ich Ihnen zuallererst einen Vorschlag machen: und ich würde sehr erfreut sein, wenn Sie ihn annehmen könnten.
Mein Vorschlag geht auf ganz gleiche Ausstattung und gleiche Bedingungen, wie bei der „Geburt“. Bis zum 22 Mai müßten aber, aus doppelten Gründen, die Exemplare zum Versenden bereit sein. Was in diesem Tag in Baireuth vor sich geht, wissen wir: außerdem beginnt an diesem Tage die allgemeine deutsche Philologen- und Lehrerversammlung in Leipzig. Dieser letzteren den Sinn des ersteren Ereignisses nahe zu bringen und die Kulturbedeutung unserer Musikbewegung gerade den Lehrern ans Herz zu legen ist Absicht und Inbegriff meiner Vorträge.
Aber, wie schon angedeutet, verehrter Herr — für Sie giebt es nach keiner Seite hin eine Verbindlichkeit: wenn Sie mir schreiben, ohne Gründe: „es geht nicht“, so verstehe ich Sie vollkommen und betrachte diesen Brief als erledigt.
Immerhin durfte ich mich an Niemand Anderes zuerst wenden, gerade weil ich, bei meinem letzten Buche, eine so angenehme und schätzenswerthe Erfahrung gemacht habe.
Geben Sie mir bald eine kurze Notiz und nehmen Sie den Brief, so wie er geschrieben ist: aufrichtig!
Ihr ergebenster
Fr Nietzsche.